Vorwurf

SPD-Kandidat unterstellt tendenziöse Berichte

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Markus Töns, Jahrgang 1964, kandidiert im September für den Deutschen Bundestag.

Markus Töns, Jahrgang 1964, kandidiert im September für den Deutschen Bundestag.

Foto: Martin Möller

Gelsenkirchen.   Markus Töns versucht im Vorfeld der Bundestagswahl, die WAZ unter Druck zu setzen. Funke Mediengruppe betont die Unabhängigkeit der Redaktion.

Der SPD-Bundestagskandidat Markus Töns hat die Mitglieder der SPD Gelsenkirchen im beginnenden Wahlkampf öffentlich dazu aufgerufen, Druck auf die politische Berichterstattung der WAZ auszuüben. Die Genossinnen und Genossen sollten „die Berichterstattung kritisch beobachten“ und ihren „Unmut gegenüber der Redaktion zum Ausdruck bringen“, schreibt er in einer Rundmail. Die gleiche Mail verbreitete er über seinen öffentlich zugänglichen Facebook-Auftritt. Töns ist auch stellvertretender Parteichef in Gelsenkirchen.

Seine Mail, die er nach eigener Aussage mit der Gelsenkirchener Parteiführung abgestimmt hatte, endet mit dem Hinweis, es könne ein „Trost“ sein, dass die Auflage der WAZ zurückgegangen sei. Dieser Hinweis fehlt in dem sonst gleichlautenden Facebook-Eintrag.

Reportage über die Stimmung an der SPD-Basis

Anlass für das Schreiben war eine zweiseitige Reportage der Politikredaktion über die Stimmung der Parteibasis im Ruhrgebiet nach der verlorenen Landtagswahl und vor der Bundestagswahl im September. Auf einer Doppelseite, die in der WAZ am Dienstag erschienen war, kommen zahlreiche SPD-Mitglieder aus Herne, Duisburg, Bochum, Essen, Bottrop und Mülheim zu Wort – auch aus Gelsenkirchen. Die Autorin beschreibt Szenen an Wahlkampfständen und in Parteisitzungen und zitiert jüngere und ältere Parteimitglieder. Sie äußern sich vielfach kritisch zum Zustand der Partei, zeigen Lösungswege auf, die aus der Krise führen sollen, und geben sich zum Teil auch demonstrativ selbstbewusst.

Ein Parteimitglied aus Gelsenkirchen etwa wird mit dem Hinweis wiedergegeben, keine Partei kenne das Ruhrgebiet so gut wie die SPD: „Wir dürfen uns nicht kleiner machen als wir sind. Wir wollen regieren und wir können regieren.“ Allein der SPD in Gelsenkirchen gehören der NRW-SPD zufolge derzeit rund 2900 Mitglieder an.

Stellungnahme der Funke Mediengruppe

Töns sieht in der Reportage trotzdem einen „weiteren Beitrag aus der Reihe der tendenziell negativen Berichte über die SPD“ in der WAZ. Töns weist in dem Zusammenhang auf einen der Mitgesellschafter der Funke Mediengruppe, zu der auch die WAZ gehört, hin: Stephan Holthoff-Pförtner sei „einflussreiches CDU-Mitglied“ und seit Ende Juni NRW-Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien. Dies stelle eine „personelle Verquickung zwischen Politik und Medien“ dar – ein Vorwurf, den der Sprecher der Funke Mediengruppe, Tobias Korenke, zurückweist:

„Die Unabhängigkeit der Redaktionen ist unser höchstes Gut“, heißt es in einer Stellungnahme. „Gesellschafter und Geschäftsführung der Funke Mediengruppe haben in der Vergangenheit niemals Einfluss auf die inhaltliche Arbeit der Redaktionen genommen und werden das auch in Zukunft nicht tun. Unsere Redaktionen werden auch die aktuelle Landesregierung in gewohnter Weise begleiten – unabhängig, engagiert, parteiübergreifend, kritisch und durchaus unbequem.“ Korenke schließt mit einem Angebot: „Wir laden Herrn Töns ganz herzlich nach Essen ein, um sich selbst ein Bild zu machen.“

>>> Die Mail von Markus Töns im Wortlaut <<<

Liebe Genossinnen und Genossen,

viele von Euch werden ebenso wie ich mit erneuter Verärgerung in der WAZ die große, doppelseitige Reportage über die SPD im Ruhrgebiet gelesen haben. Denn es überwiegt die Absicht, die SPD als verkrustet und unmodern darzustellen.

Dieser Artikel ist ein weiterer Beitrag aus der Reihe der tendenziell negativen Berichte über die SPD in dieser Zeitung. An vielen weiteren Beispielen ließe sich belegen, wie hier immer wieder das Bild einer Partei gezeichnet wird, die sich auf dem absteigenden Ast befindet, überaltert ist und an sich selbst zweifelt. Man könnte diese Geschichte auch anders erzählen und andere Stimmen zu Wort kommen lassen. Man könnte auch die Frage nach dem Altersdurchschnitt der CDU stellen und nach ihrer Präsenz vor Ort – beides deutlich schlechter als bei uns, von den anderen Parteien ganz zu schweigen.

Wer sich fragt, warum das so ist, warum z.B. Angela Merkel in Berichten und Kommentaren bis zur Fotoauswahl insgesamt immer positiv dargestellt wird und warum bei Martin Schulz, auch wenn man zugeben muss, dass er recht hat, immer noch ein „Haar in der Suppe“ gefunden wird.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Eigentümer der Funke Mediengruppe, zu der die WAZ gehört. Mitgesellschafter ist seit 2011 Rechtsanwalt Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, einflussreiches CDU-Mitglied und seit Ende Juni 2017 NRW-Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien. Eine personelle Verquickung zwischen Politik und Medien, die seltsamerweise in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielt.

Umso mehr sollten wir in Gesprächen darauf hinweisen, die Berichterstattung kritisch beobachten und auch durchaus unseren Unmut gegenüber der Redaktion zum Ausdruck bringen.

Ein Trost kann dabei sein, dass die WAZ in Gelsenkirchen mit einer Auflage von 30 200 (Stand 2015) schon lange nicht mehr über eine große Verbreitung verfügt.

Mit freundlichen Grüßen
Markus Töns

>>> Kommentar: Im Dienste der Demokratie <<<

Der Überbringer der schlechten Nachricht wird gerne attackiert. Dabei ist das, was der Auslöser für die öffentlich zelebrierte Verärgerung von SPD-Funktionär Markus Töns war, noch nicht einmal eine schlechte Nachricht. Im Gegenteil: Die zweiseitige Reportage zur SPD im Ruhrgebiet vom Dienstag hat der Parteibasis eine Stimme gegeben. Sie hat vielen aus dem Herzen gesprochen. Sie hat offen angesprochen, dass sich die SPD moderner aufstellen muss. Wer will das ernsthaft bestreiten?

Gäbe es die regionale Tageszeitung nicht, stünde es schlecht um unabhängige Berichterstattung vor Ort und damit um politische Teilhabe in Stadt und Land. Ein lokal verwurzelter Politiker wie Töns kann sich das nicht ernsthaft wünschen. Er sollte sich vielmehr darüber freuen, dass wir über seine politischen Ansichten und Ideen weiterhin genau so ausführlich, konstruktiv-kritisch und fair berichten werden wie über die der anderen Kandidaten. Wir seien zu CDU-freundlich, sagen SPD-Leute; wir seien zu SPD-freundlich, sagen CDU-Leute. So lange sich das die Waage hält, liegen wir vermutlich nicht ganz falsch.

Und noch etwas: Unabhängig von der Auflage der Tageszeitung steigt die Reichweite der WAZ von einem Rekordstand zum nächsten. Noch nie hat sie mit ihren Produkten, ob auf Papier oder in digitaler Form, so viele Menschen erreicht wie heute.
Alexander Marinos, stellv. WAZ-Chefredakteur

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