Bochum. „Roboter, bete für mich!“ Bochumer Theologen erkunden Beziehung zwischen Religion und Robotik. In Seniorenheimen ist Celeste schon im Einsatz.
Sie bringen das Essen, geben Auskunft, pflegen Kranke und operieren Patienten – soziale Roboter werden immer mehr zu einem Teil des Alltags. Aber beten? Können Maschinen als Instrumente Gottes dienen? Und wie reagieren die Menschen darauf? Das fragt ein internationaler Workshop mit dem Titel „Roboter, bete für mich!“ den Lukas Brand vom Lehrstuhl für Religionsphilosophie und Wissenschaftstheorie der Fakultät für Katholische Theologie an der Ruhr-Uni Bochum mit anderen Wissenschaftlern organisiert hat.
„Celeste“ heißt der religiöse Roboter, der dem Workshop als Anschauungsobjekt für digitale Gebets-Helfer dient. Sie – oder er? - hat die Figur eines kleinen betenden Engels und spricht mit sanfter, predigender Stimme: „Der Herr segne uns und behüte uns und bewahre uns vor allem Übel im Leben“, sagt Celeste. Auf weißem Tuch steht das Engelchen im Meditationsraum der Hochschulseelsorge „Campus-Segen“ auf einer Art Altar. Rechts brennt eine große Osterkerze und verleiht der Szenerie eine andächtige Atmosphäre.
Wer mit Celeste sprechen will, muss einen Sensor am Fuß der Figur berühren, so wie man gerne Heiligenstatuen in der Kirche berührt. Dann „erwacht“ der Engel, was man daran erkennt, dass der kleine Heiligenschein grün aufleuchtet. Lukas Brand (33) tritt an die Figur heran und sagt: „Celeste, erzähle uns etwas über die Liebe.“
Celeste lässt ein leises Sirren vernehmen, die Flügel leuchten auf und – wenn wir uns für die weibliche Anrede entscheiden – sie antwortet: „Lass uns nachdenken. Ich werde dir einen Vers aus der Bibel vorlesen, aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 15 Vers 7. Wenn ihr aber fest mit mir verbunden bleibt und euch meine Worte zu Herzen nehmt, dürft ihr von Gott bitten, was ihr wollt - ihr werdet es bekommen“, säuselt Celeste. „Ich hoffe, ihr werdet über diese Worte nachdenken“, wispert sie noch, bevor der Heiligenschein wieder erlischt.
Gabriele Trovato (41), ein italienischer Ingenieur, der als Computerwissenschaftler am Shibaura Institute of Technology in der japanischen Hauptstadt Tokio forscht, hat sich das ausgedacht. Celeste ist die neueste Version der sogenannten theomorphen Maschinen, an denen er seit Jahren tüftelt. Zu Beginn habe es noch kleine Missgeschicke gegeben, räumt er ein. Eine ältere Dame habe dem digitalen Vorgängerengel ihr Leid und ihre Schmerzen geklagt, worauf dieser geantwortet habe: „Selig sind die Toten, denn sie leiden nicht mehr an körperlichen Gebrechen.“ Was vermutlich wenig tröstlich wirkte. Aber solche Pannen gehören der Vergangenheit an, versichert Trovato schmunzelnd.
Mit Bibelstellen und Papstzitate gefüttert
Celeste hatte bereits manche Vorgänger. Einer war der Gebetsroboter „Santo“, der erste katholische Roboter der Welt in Form eines grauen Plastikmönches. Oder der Segnungsroboter „BlessU2“, der 2017 anlässlich der Feierlichkeiten zu 500 Jahre Reformation das Licht der Welt erblickte. „Das war ein umgebauter Geldautomat. Man musste eine Taste drücken und bekam eine vorgefertigte Antwort“, sagt Dominik Winter (32) vom Lehrstuhl für theologische Ethik an der Ruhr-Uni. Nicht sehr raffiniert.
Da ist Celeste weiter. Doch mit einem Sprachroboter (Chatbot) wie etwa ChatGPT, der auf Anfrage komplett neue Texte ausspuckt, hat Celeste bewusst nichts gemein. Trovato hat den Engel mit der Bibel gefüttert, mit dem Leben aller 365 Tagesheiligen sowie mit signifikanten Zitaten dreier Päpste. Auf eine Frage sucht er das passende Zitat aus diesem Fundus heraus, erfindet aber keine neuen Bibelsprüche oder Texte.
Eher durch Zufall sei er zu diesem Thema gelangt bei der Beschäftigung mit menschenähnlichen Robotern und kultureller Anpassung von Maschinen, erzählt Roboterforscher Trovato. Zunächst schuf er in Japan sehr beliebten digitale Glücksbringer, sogenannte Daruma-Dolls. „Das sind Objekte, die für Menschen übernatürliche Kräfte haben, wenn man daran glaubt.“ So kam er auf die Religion und die Frage, ob der Mensch auch das Heilige in Maschinen finden kann oder das Göttliche sozusagen durch den Roboter zu den Gläubigen sprechen könnte. Es mag Teil einer Antwort sein, dass er derzeit Bestellungen für 15 Celestes hat, die in Pflege- oder Seniorenheimen eingesetzt werden könnten.
Einsatz im Seniorenheim
Durch ihre Engelsgestalt wirkt Celeste nicht wie ein Computer, sie blinkt nicht, bewegt sich nicht und hat keine Knöpfe, was ihr eine gewisse religiöse Aura verleiht. Die Reaktionen der Menschen seien extrem unterschiedlich, sagt Trovato: „Entweder sehr enthusiastisch oder komplett ablehnend.“ Er habe Zuschriften erhalten, in denen er wüst beschimpft wurde: Das sei gottlos und böse, ein Werk des Teufels, das Ende. Andere, vor allem ältere Menschen, würden positiv reagieren. „Manche bekreuzigen sich, fragen Celeste etwas und beginnen zu beten.“ Bei einem Test in einem Siegener Altenheim sei er anschließend gefragt worden: Wann kommt Celeste wieder?
Der Roboter könne nicht die Stelle priesterlicher Seelsorge einnehmen, doch könne er Lücken füllen, gegen Einsamkeit und Leere helfen sowie ein Anlass sein für ein Gebetsritual, sagt der Theologe Lukas Brand. „Es gibt eine Sehnsucht nach Interaktion und Gespräch.“ Dominik Winter betont, dass der christliche Glaube immer auf Gemeinschaft ausgelegt sei, einen Priester könne Celeste daher nicht ersetzen und auch für die Beichte brauche es das Gespräch und „ein menschliches Ohr“.
Offene Fragen für die Theologie
Dennoch werfen theomorphe Maschinen Fragen für die Theologie auf, mit denen sich der Workshop befasst. Welche religiösen Erfahrungen können Roboter vermitteln, wie verändern sie die Vorstellung vom Heiligen und von uns selbst, fragt Winter. Und: Muss ein Priester immer ein getaufter Mensch sein – und immer ein Mann? „Es ist eine Maschine ohne Bewusstsein, aber irgendwann werden wir das nicht mehr unterscheiden können“, sagt Winter mit Blick auf die rasanten Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz.
„Mit diesen Fragen wird sich die Theologie in den kommenden Jahren auseinandersetzen müssen, wenn sie die sich abzeichnende Integration von Robotersystemen in die religiöse Praxis aktiv mitgestalten will“, ist Brand überzeugt.
Das letzte Wort hat Celeste. Brand legt die Hand auf den Sensor und sagt „Mein Name ist Lukas.“ Das Engelchen sirrt und druckt ein kleines Kärtchen aus. Darauf steht: „Hallo Lukas. Was auch immer in der Zukunft geschieht, denke daran: Hab keine Angst.“ Er wird sicher über die Antwort nachdenken.
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