Gelsenkirchen. Schroffe Briefe, stundenlange Befragungen, subtile Drohungen durch Anwälte: Wie die WHS Gelsenkirchen versucht, einen MeToo-Fall aufzuklären.
Ehemalige Studenten erheben schwere Vorwürfe gegen die Westfälische Hochschule Gelsenkirchen und ihren Präsidenten Bernd Kriegesmann. Die jungen Männer hatten sich vertraulich an Kriegesmann gewandt, weil sie sich teils über Jahre von einem Professor der Hochschule sexuell belästigt gefühlt hatten. Nun sind sie entsetzt, wie die Hochschule und eine von ihr beauftragte Anwaltskanzlei den Fall aufzuklären versuchen. „Wir werden da gerade zum zweiten Mal zu Opfern gemacht“, sagte einer der Betroffenen im Gespräch mit der WAZ.
Die WAZ hatte den Fall im Frühjahr öffentlich gemacht: Mehr als ein Dutzend Männer haben der Hochschule inzwischen in Protokollen von grenzüberschreitendem Verhalten ihres ehemaligen Professors berichtet. Der Hochschullehrer soll engen privaten Kontakt zu den Männern gehalten haben, sie zu sich nach Hause eingeladen und dort teilweise unsittlich berührt haben. Zudem soll er sie zu Liegestützen aufgefordert und psychisch unter Druck gesetzt haben. Der Professor bestreitet die Taten.
Vorwürfe gegen Professor der WHS Gelsenkirchen: Düsseldorfer Anwaltskanzlei leitet Disziplinarverfahren
Nach der Berichterstattung hatte die Hochschule erklärt, die Vorwürfe würden in einem Disziplinarverfahren geprüft. Grundsätzlich dulde die Hochschule keine Art von Diskriminierung. Der beschuldigte Professor sei vorläufig von allen Dienstaufgaben freigestellt worden. Inzwischen hat die Hochschule eine Düsseldorfer Anwaltskanzlei mit der Aufklärung des Falls beauftragt – doch deren Verhalten wirft Fragen auf.
Die Kanzlei hatte etwa zahlreiche Betroffene zu „Zeugenvernehmungen“ eingeladen. Der Tonfall irritierte einige ehemalige Studenten. „Ich weise Sie daraufhin, dass Sie verpflichtet sind, als Zeuge in diesem Verfahren auszusagen, sofern Sie nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht verweisen können“, heißt es in dem Schreiben, das der WAZ vorliegt. „Eine entsprechende Belehrung – auch zur Wahrheitspflicht – wird im Termin erfolgen.“
Weitere Texte zu den Vorwürfen gegen den Professor der WHS Gelsenkirchen:
Mehrere Betroffene sind zudem irritiert über die Befragung selbst. Bei ihrer Befragung sei außer dem externen Anwalt kein Mitarbeiter der Hochschule dabei gewesen, stattdessen hätten aber zur Überraschung der Zeugen zwei Anwälte des Professors auf sie gewartet. Diese hätten über Stunden Gelegenheit bekommen, Fragen zu stellen und hätten augenscheinlich auch sämtliche intimen Details der Protokolle gekannt. „Die haben mich massiv unter Druck gesetzt“, berichtet einer der Zeugen. Ein anderer nennt das Gespräch ein „Verhör“.
Besonders verwundert sind die Betroffenen zudem darüber, dass sie – angeblich unter Wahrheitspflicht stehend – intensiv zu ihren Kontakten zur Presse befragt wurden. „Die wollten offenbar rausfinden, wie die Sache an die Öffentlichkeit gekommen ist“, sagt einer der Betroffenen.
WHS-Präsident Kriegesmann verweist auf Landesdisziplinargesetz
Hochschulpräsident Bernd Kriegesmann verweist auf das Landesdisziplinargesetz. Demnach sei es „das Recht des Beschuldigten, sich jederzeit einer oder eines Bevollmächtigten oder eines Beistandes zu bedienen.“ Die Rechtsvertreter dürften dann auch an Vernehmungen von Zeugen teilnehmen. Auf die Fragen, warum die Zeugen vorher nicht über die Anwesenheit der Anwälte informiert wurden, antwortet Kriegesmann nicht. Auch auf das Thema, ob auch die Kontakte zu Journalisten zur Sachverhaltsaufklärung gehören, ging er auf Anfrage nicht ein.
Grundsätzlich habe es „seit Bekanntwerden der ersten Vorwürfe (…) kontinuierlich Gesprächsangebote für die Betroffenen seitens der Hochschule gegeben“, betont Kriegesmann. Die Hochschule habe einen externen Fachanwalt beauftragt, „um die Objektivität zu wahren und entsprechende Fachexpertise in das Verfahren einzubeziehen.“
Hinweis der Red.: Aufgrund einer geänderten Quellenlage haben wir eine Expertenaussage aus dem Text gestrichen, nach der die Betroffenen sich nicht befragen lassen müssen. Dies ist nur bei internen Untersuchungen so. In einem Disziplinarverfahren besteht eine Aussagepflicht für Zeugen.
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