In Schwarz galt er als Markenzeichen der Intellektuellen, Kinder hassten ihn, weil er kratzte, nun ist er wieder im Trend: der Rolli.
Jetzt, wo es draußen kälter wird und wegen der Energiekrise drinnen auch, jetzt, wo wir uns ob der stürmischen Zeiten sowieso besser warm anziehen sollten, da avanciert ein zeitloser Modeklassiker plötzlich wieder zum „It-Piece“ der Saison. Ein Kleidungsstück, das optisch quasi untrennbar mit dem späteren Ruhm der französischen Chanson-Legende Juliette Gréco verbunden ist, in dem sich der Pop-Art-Kunststar Andy Warhol gerne gleichzeitig streng und informell gab, in dem Apple-Gründer Steve Jobs stets seine technischen Neuerfindungen präsentierte – der Rollkragenpullover.
Schon lange gilt er als stoffgewordenes Markenzeichen der Avantgarde. In einem Rollkragenpullover wirkt nahezu jeder automatisch schick und schlau. Allerdings nur unter einer Voraussetzung: Das Kleidungsstück muss dafür schwarz sein. Schlicht und reinschwarz, also keinesfalls mit einem aufgestickten Herzchen drauf oder Glitzereffekt. Völlig überflüssiges Dekor – das macht das ganze Bild kaputt.
Farbige Rollkragenpullover, womöglich noch mit Zopfmustern oder im rustikalen Norwegerstil fallen dagegen eher nicht unter die Kategorie „Stilikone“, sondern in die Rubrik „wärmend und praktisch“. Generationen von Kindern wurden in frostigen Wintern von besorgten Müttern zum Tragen wollener Rollis genötigt, die vielen vor allem durch eine Eigenschaft in Erinnerung blieben: Sie kratzten. Unerträglich.
Auch im Hochsommer im Rollkragenpullover
Zum Glück halten Modeindustrie und Garnhersteller mittlerweile eine Auswahl spürbar flauschigerer Materialien bereit. Deswegen steht einem modischen Erfolg dieser Garderobe nichts im Weg. Zumal sie aktuell von sogar politischen Akteuren, also damit quasi von „höherer Stelle“, den Bürgern empfohlen wird. Die Gouverneurin von Tokio hat unlängst den Bewohnern der japanischen Hauptstadt vorgeschlagen, vermehrt Rollis zu tragen, und natürlich ging es dabei nicht um modische Coolness, sondern um Körpererwärmung angesichts der auch in Japan steil steigenden Heizkosten. Die Politikerin nannte als Vorbild übrigens den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der sich neulich demonstrativ im Rollkragenpullover fotografieren ließ – ausgerechnet übrigens bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin. Vielleicht war das legere Outfit aber weniger ein Signal an das französische Volk, womöglich dachte Macron ja eher daran, dass man sich im – im Vergleich zu Paris – doch deutlich lässigeren, ja fast schon rustikalen Berlin nicht so hochförmlich bekleiden muss.
Falls die japanische Gouverneurin noch nach weiteren Vorbildern suchen sollte – ich könnte ihr da gern eins nennen: Einen Mann aus dem Ruhrgebiet, dem man hochverdient den Titel „Mister Rollkragenpullover NRW“ hätte verleihen können, ja müssen, mindestens: mein Vater. Was für Angela Merkel der Blazer war, stellte der Rollkragenpullover für meinen Vater dar: ein zweckmäßiges, unprätentiöses Markenzeichen, eine Art Berufskleidung, in der er 40 Jahre lang vor Schulkassen stand, um ihnen lateinische Vokabeln und Schillers Dramen näherzubringen. Vermutlich hat es tatsächlich auch mit diesen Rollkragenpullovern zu tun, dass in meinem Elternhaus schon früher nur sparsam geheizt wurde. Und auch Hitze konnte seinem Kleidungsstil nichts anhaben. Mein Vater trug selbst im Hochsommer Rolli. Ohne Zweifel: Er war damals schon Avantgarde. Allerdings in der Farbe Beige.
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