Interview

"Muss Italien unter den Rettungsschirm, wird es brenzlig"

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RWI-Chef Christoph M. Schmidt im Interview mit unserer Zeitung.

RWI-Chef Christoph M. Schmidt im Interview mit unserer Zeitung.

Foto: Kai Kitschenberg

Essen.   Wie Italien die Banken rettet, ist für Christoph Schmidt, Chef der Wirtschaftsweisen, der entscheidende Praxistest für Europas neue Bankenunion.

Die italienische Banken- und Regierungskrise schürt neue Sorgen um den Euro. Ob die EU-Bankenunion krisentauglich ist und die Steuerzahler wirklich verschont, wird sich jetzt entscheiden, sagte Christoph M. Schmidt, Chef der Wirtschaftsweisen, im Gespräch mit Stefan Schulte.

Herr Schmidt, halb Europa hat in der Finanzkrise seine Banken mit Steuergeldern gerettet, auch Deutschland. Die Regeln der neuen Bankenunion sollen die Steuerzahler nun verschonen. Sind all die guten Vorsätze durch die Krise in Italien schon wieder in Gefahr?

Christoph M. Schmidt: Die gemeinsame Kontrolle und im Ernstfall auch die Abwicklung großer Banken sowie das Prinzip, die Gläubiger heranzuziehen und nicht die Steuerzahler, haben wir im Sachverständigenrat schon lange gefordert. Jetzt muss die Bankenunion den Praxistest bestehen und da sehe ich eine große Schwachstelle: Man wird sich im Einzelfall immer fragen, ob die Anwendung der Regeln die Stabilität des Finanzmarktes gefährdet und man deshalb eine Ausnahme macht. Dieser Reflex zeigt sich gerade in Italien. Gibt man ihm nach und hält gleich beim ersten großen Test die Regeln nicht ein, ist die Bankenunion nicht glaubwürdig.

Italien erwägt eine staatliche Rettung von Monte dei Paschi, weil die Bank systemrelevant sei und man Kleinanleger schützen müsse, denen faule Papiere angedreht wurden. Sind das keine Gründe für eine Ausnahme?

Schmidt: Nein. Es geht hier um zwei Dinge, die man trennen sollte. Die Restrukturierung der Bank sollte nach den verabredeten Regeln erfolgen, sprich die Gläubiger der Bank müssen zu ihrer Rettung beitragen, nicht die Steuerzahler. Der italienische Staat kann anschließend dann ein sozialpolitisches Anliegen vorbringen und geschädigten Bürgern im Rahmen seiner geringen fiskalischen Spielräume helfen. Beides sollte aber nicht vermischt werden.

„Dann könnte es brenzlig für den Euro-Raum werden“

Wenn schon das kleine Griechenland den Euro in Gefahr gebracht hat – was droht uns, wenn mit Italien die drittgrößte Volkswirtschaft Europas ihre Banken- und Schuldenkrise nicht in den Griff kriegt?

Schmidt: In den vergangenen Jahren hat sich schon viel getan. Bei der Zuspitzung der Lage in Griechenland mussten die Krisenmechanismen wie etwa der Rettungsfonds ESM zeitgleich entwickelt werden. Und die EZB musste der Finanzwelt erst beweisen, dass sie willens ist, den Euro zu verteidigen. Mit der verstärkten Architektur des Euroraums und dem OMT im Rücken reagieren die Märkte nun weniger nervös. Das konnte man zuletzt nach dem gescheiterten Verfassungsreferendum in Italien beobachten. Andererseits ist Italien als drittgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raums ein ganz anderes Kaliber als Griechenland. Das Land muss daher dringend die notwendigen Reformen durchführen, um wieder aus eigener Kraft zu wachsen. Müsste Italien unter den Rettungsschirm, dann könnte es für den Euro-Raum brenzlig werden.

Aber dafür ist der Rettungsfonds doch da. Oder würde Italien ihn durch seine Größe sprengen?

Schmidt: Solange die EZB den Zusammenhalt des Euro-Raums mit allen Mitteln verteidigt, ist die Größe des ESM nicht die entscheidende Frage. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Reformbereitschaft der Italiener. Bei einer Beteiligung an den Aufräumarbeiten im italienischen Bankensektor könnte der ESM durch seine Auflagen helfen, die Reformen durchzubringen, die im politischen Prozess bisher stecken geblieben sind. Das hat auch in Spanien einiges in Gang gebracht. Schwierig würde es allerdings, wenn Italien sich den nötigen Reformen verweigert.

Deutschland gibt derzeit kein gutes Vorbild ab 

Mit Renzi ist in Italien der Chefreformer gescheitert. Muss der Norden Europas nicht irgendwann einsehen, dass die Bürger im ärmeren Süden einfach nicht bereit sind, die geforderten Reformen mitzumachen?

Schmidt: Nein. Wir sollten nicht das Ende der Währungsunion herbeireden, sondern auf die Wirkung guter Argumente setzen. Strukturreformen und Entschuldung sind der richtige Weg. Ich setze darauf, dass mit wachsendem Druck die Einsicht wieder steigt.

Ist Deutschland denn dafür ein gutes Vorbild?

Schmidt: Die Bundesregierung hat beispielsweise mit ihrem Rentenpaket zuletzt kein gutes Vorbild für die europäischen Partner abgegeben. Es ist wenig glaubwürdig, den anderen zu raten, ihr Rentensystem der Demografie anzupassen und gleichzeitig selbst nicht so zu handeln.

Die EZB kauft weiter Staatsanleihen für Abermilliarden, die Wirtschaft in Südeuropa kommt trotzdem nicht richtig in Gang, und wir im Norden klagen über die Minizinsen. Wie lange hält Europa diesen Spagat noch aus?

Schmidt: Man muss schon sehen, dass die EZB-Politik durchaus Wirkung erzielt, sowohl Wachstum als auch Inflation haben angezogen. Übrigens hat auch Deutschland insbesondere bei den Exporten davon profitiert. Aber die derzeitige Situation bringt Risiken mit sich, etwa die Gefahr von übertriebenen Preisen bei Immobilien, was man in großen deutschen Städten bereits sehen kann. Andererseits hat der massenhafte Ankauf südeuropäischer Staatsanleihen den Sparwillen der dortigen Regierungen weitgehend zum Erliegen gebracht. EZB-Präsident Draghi fordert die Staaten stets zu Reformen auf, nimmt ihnen aber gleichzeitig mit seiner expansiven Geldpolitik den Anreiz dafür. Das hat schon eine tragische Note.

Das klingt alles nicht sehr optimistisch. Wie groß ist die Gefahr einer neuen Euro-Krise?

Schmidt: Es baut sich Krisenpotenzial auf, allein durch die Unruhen im Bankensystem, es muss sich aber nicht entladen. Je länger die notwendigen Aufräumarbeiten hinausgezögert werden und je länger Niedrigzinsphase anhält, sprich je länger auf die expansive EZB-Politik gesetzt wird, um Wachstum zu erzeugen, desto näher rückt allerdings eine mögliche Krise.

Trumps Abschottungsregime würde allen schaden

Für Europa geht ein schlimmes Jahr zu Ende mit Flüchtlingskrise, Brexit ...

Schmidt:... und wohl auch der Wahl Trumps. Dass der nächste US-Präsident einen protektionistischen Kurs einschlägt, muss Europa sorgen. Trotz allem war das Wachstum in diesem Jahr ordentlich, die Arbeitslosigkeit ist gesunken, wirtschaftlich läuft es so schlecht nicht. Leider wird das durch die politischen Großereignisse überdeckt. Am schlimmsten war für mich, dass Europa die große Chance vertan hat, in der Flüchtlingskrise Einigkeit zu zeigen.

Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass Trump seine Ankündigungen wahr macht?

Wenn die Idee des Freihandels unter Präsident Trump zu einem Abschottungsregime mutiert, wäre das eine neue Ära, die sich niemand wünschen kann, weil sie allen schadet. Ebenso stimmt es bedenklich, wie er bislang die Folgen des Klimawandels heruntergeredet hat. Deshalb hoffe ich, dass Ankündigungen und Taten Trumps am Ende doch auseinanderklaffen. Die Signale deuten derzeit aber nicht so sehr darauf hin.

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