Interview

"Gesetzesnovelle zu Leiharbeit ist ein Rückschritt"

| Lesedauer: 7 Minuten
Prof. Dr. Peter Schüren ist Experte für die Themen Leiharbeit und Werkverträge.

Prof. Dr. Peter Schüren ist Experte für die Themen Leiharbeit und Werkverträge.

Foto: Ralf Rottmann

Münster/Plettenberg.   Interview mit Professor Dr. Peter Schüren zur Gesetzesnovelle zu Leiharbeit und Werkverträgen, die am 1. April 2017 in Kraft treten soll.

Eine der letzten Gesetzesänderungen in der Regierungszeit von CDU/CSU und SPD im Bund wird die Reform beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen sein. Am 1. April 2017 soll sie in Kraft treten - und mancher hält das Ergebnis langer Beratungen tatsächlich für einen Scherz. Ziel war es, die Bedingungen für die knapp eine Million Beschäftigten in der Leiharbeit zu verbessern und den Missbrauch des Instruments Werkvertrag einzudämmen. Die WESTFALENPOST sprach darüber mit dem Arbeitsrechtler Professor Dr. Peter Schüren, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht der Universität Münster.

Professor Schüren, im Auftrag der Landesregierung haben Sie gemeinsam mit Professorin Christiane Brors von der Uni Oldenburg im Jahr 2014 ein Gutachten zum Thema vorgelegt. Darin enthalten sind zahlreiche Vorschläge, wie dem Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen ein Riegel vorgeschoben werden kann. Nun, zweieinhalb Jahre später hat der Bundestag eine Gesetzesnovelle verabschiedet. Ist sie gelungen?

Professor Dr. Peter Schüren: Der Missbrauch von Scheinwerkverträgen wird erschwert. Das ist ein spürbarer Fortschritt. Bei der Leiharbeit gibt es eher einen Rückschritt.

Hilft die Gesetzesänderung in Fällen wie beim Plettenberger Unternehmen Dura, wo Anfang Oktober Beschäftigte, die aus Portugal eingeflogen wurden, an Wochenenden gearbeitet haben?

Nein, in diesem Fall ist der Einsatz der Leute aus Portugal wohl rechtmäßig. Das hat das Landesarbeitsgericht in Hamm entschieden.

Und ist das denn richtig?

Ja. Nach Ansicht des Gerichtes handelt es sich bei der Wochenendmannschaft um einen neuen Betrieb, der zwar mit den gleichen Maschinen aber sonst eigenständig arbeitet. Deshalb ist der Betriebsrat dafür nicht zuständig. Das funktioniert in diesem Fall nur deshalb, weil die US-amerikanische Firmenchefin nicht nur die Arbeiter, sondern auch die erforderlichen Führungskräfte mit ins Sauerland hat einfliegen lassen. Eine Demonstration der Macht gegenüber der Kernbelegschaft. Wirtschaftlich kann man so bestimmt nicht produzieren.

Dura ist also eine Ausnahme und kein Fall von Missbrauch von Werkverträgen?

So ist es. Allerdings hätte es um ein Haar im neuen Gesetz gar keine Verbesserung bei Scheinwerkverträgen gegeben. Dazu muss ich aber erklären, was die härteste Rechtsfolge von Scheinwerkverträgen ist: Wenn sich ein Unternehmer Personal ausleiht und das als Werkvertrag getarnt wird, dann werden die illegal überlassenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kraft Gesetzes Arbeitnehmer des Entleihers – und man muss ihnen dort den Lohn samt aller Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.

Davor konnte man sich bisher schützen, wenn der Schein-Werkunternehmer „zur Sicherheit“ eine Verleiherlaubnis hatte. Diese Möglichkeit wird im neuen Gesetz abgeschafft. Seltsamerweise war im Gesetzentwurf dann aber vorgesehen, dass die illegal überlassenen Arbeitnehmer gleich bei Arbeitsaufnahme eine Erklärung abgeben konnten, dass sie nicht Arbeitnehmer des Entleihers werden wollten. Bildlich gesprochen: Der große Rettungsfallschirm sollte durch viele kleine ersetzt werden. In meinen Augen wäre das ein wirkliches Schelmenstück gewesen. Erst ganz am Ende des Gesetzgebungsverfahrens wurde diese Möglichkeit gestrichen. Jetzt ist das Gesetz insoweit eine echte Verbesserung.

Inwiefern?

Bildlich gesprochen: Die Leitplanken an der Hochalpenstraße sind abmontiert. Einen Scheinwerkvertrag zu riskieren, wird in Zukunft für Unternehmen viel gefährlicher. Das wird einige davon abhalten, mit Scheinwerkverträgen zu arbeiten.

Können Sie erklären, wieso?

Bei Scheinwerkverträgen geht es immer um illegale Arbeitnehmerüberlassung. Ein Beispiel: Ein Unternehmen U schließt einen Werkvertrag mit der Firma X. Firma X kommt mit einhundert Mitarbeitern, die bekommen € 9,50 pro Stunde. Bei U gibt es für den gleichen Job € 19. Die Fremdfirmenleute erledigen aber nicht eigenständig ein Gewerk wie etwa ein Elektrobetrieb, der regelmäßig für funktionierende Beleuchtung sorgt. Diese einhundert Mann werden von Stammpersonal eingewiesen und angeleitet und sind schlicht billige Arbeitskräfte. Bisher hatte Firma X auf Vorrat eine Überlassungsgenehmigung in der Schublade, für den Fall, dass der Schwindel auffliegt. Sonst wäre nämlich per Gesetz jeder der einhundert illegal Beschäftigten vom ersten Arbeitstag Angestellter von U geworden. Das Unternehmen müsste dann rückwirkend an den Staat Sozialversicherungsabgaben leisten. So als ob die einhundert Beschäftigten fest angestellt gewesen wären - und zwar unabhängig davon, ob es ihnen die Löhne tatsächlich zahlt.

Über welche Größenordnungen sprechen wir hier?

In unserem Beispiel wären das etwa 700 000 Euro hinterzogene Sozialversicherungsbeiträge im Jahr. Das ist nicht nur teuer. Für die Führungskräfte drohen auch Freiheitsstrafen wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen. Mit dem neuen Gesetzentwurf gibt es keine Vorratsüberlassungserlaubnis mehr. Scheinwerkverträge sind jetzt wirklich gefährlich. Das ist ein Fortschritt. Bei der Leiharbeit sieht es anders aus.

Bei der Leiharbeit gibt es keine Verbesserung?

Im Gegenteil. Den Arbeitnehmern würde es mehr nützen, wenn das Gesetz nicht käme.

Kein Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher, Begrenzung der Höchstüberlassungsdauer und Equal Pay nach neun Monaten sind keine Verbesserungen?

Die Neun-Monatsregelung betrifft nur noch Branchen, die keine tariflich festgelegten Zulagenregelungen haben; sonst gibt es Gleichbehandlung erst nach 15 Monaten. Klar ist auch, dass die meisten Leiharbeitnehmer gar keine neun Monate bei einem Entleiher bleiben, also nicht profitieren werden.

Aber die Höchstüberlassungsdauer ist auf 18 Monate begrenzt worden.

Ja, aber sie ist nicht am Arbeitsplatz festgemacht und es gibt Ausnahmen. In Zukunft kann man wieder Dauerarbeitsplätze auf Dauer mit Leiharbeitnehmern besetzen. Zwar räumt der eine Leiharbeitnehmer nach 18 Monaten seinen Platz und wird durch einen anderen ersetzt. Das kann der Entleiher aber endlos fortsetzen. Leiharbeit als Instrument der Flexibilisierung - so steht es im Gesetz - wird ad absurdum geführt. Und die Beschäftigten, die nach 18 Monaten als Ersatz kommen, fangen in der untersten Lohnstufe an. Wenn man regelmäßig die Arbeitnehmer wechselt, wird es billiger.

Also wäre Equal Pay vom ersten Tag an nötig gewesen?

Das wäre ein großer Schritt. Aber das ist weder im Sinne der Unternehmer, noch scheinbar der Gewerkschaften, deren Aufgabe es ist, ihre Mitglieder in der Stammbelegschaft zu schützen. Randbelegschaft sichert Stammbelegschaft. Das sieht man in jeder Krise. Leiharbeit wird mit der Novelle in einigen Branchen weiterhin die Funktion des Krisenpuffers erfüllen.

Leiharbeit in Zahlen

In der Leiharbeit sind knapp eine Million Menschen beschäftigt (Stand12/2015; Quelle Bundesagentur für Arbeit).


  • Damit hat sich die Zahl seit dem Jahr 2000 beinahe vervierfacht.


    Leiharbeitsbeschäftigte in NRW: Rund 220 000, damit 2,8 Prozent aller Beschäftigten

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