Dicke Aktenordner über Allergieauslöser

Bürokratie nervt Metzger, Bäcker und Gastronomen

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Hinschauen lohnt sich: Wer wissen will, was in den Speisen steckt, hat jetzt einen Rechtsanspruch.

Hinschauen lohnt sich: Wer wissen will, was in den Speisen steckt, hat jetzt einen Rechtsanspruch.

Foto: Thomas Nowaczyk ()

Bäcker, Metzger und Restaurantbetreiber stöhnen, weil eine neue EU-Verordnung sie zwingt, alle Inhaltsstoffe in Lebensmitteln zu kennzeichnen. Das ist Schreibkram ohne Ende und zum wahnsinnig werden, sagt Nicole Voss, Chefin der Metzgerei Voss.

"Ich habe gefühlte 75 Seiten von unseren Gewürzlieferanten bekommen und in den letzten acht Tagen Mappen für unsere Verkaufswagen zusammengestellt." Nicole Voss' Groll richtet sich gegen die EU: "Diese Bürokraten machen uns nur Arbeit." Die dicke Mappe ("so dick wie ein Buch") mit den Inhaltsstoffen wird Nicole Voss in den Verkaufswagen deponieren, mit denen die Metzgerei auf den Wochenmärkten unterwegs ist. "Wenn Kunden zu Inhaltsstoffen Fragen haben, kann ich Auskunft geben oder meinen Kunden zum Nachschlagen gleich die ganze Mappe in die Hand drücken", sagt Nicole Voss.

Laut einer neuen europaweiten Verordnung müssen künftig nicht nur Gaststätten, Hotels und Restaurants allergieauslösende Stoffe in Lebensmitteln auf ihren Karten im Detail kennzeichnen. Auch Bäckereien und Metzgerfachbetriebe sind betroffen. Sie können ihre Kunden mündlich aufklären, durch eine Info-Mappe an der Theke oder über eine eigene Speisekarte.

Die Info-Mappen, die Bäcker Jürgen Thies in seinen zehn Filialen auslegt, sind über hundert Seiten dick. Vom Körnerbrötchen bis zur Sahnetorte sind 500 Artikel mit allen Inhaltsstoffen aufgeführt - auch wenn sie keine Nüsse, Gerste oder Milch enthalten. Auf Wunsch werden die Listen aus dem Regal geholt. Doch bisher habe noch kein Kunde nach dem Ordner gefragt, sagt Jürgen Thies: "Ein Freund hat drei Monate gebraucht, um für mich die ganzen Stoffe in den Computer einzugeben. Ich werde ihm jetzt auch einen großen Gefallen tun."

Kellner holt Allergen-Beauftragten

Im Feierabendhaus stehen den Gästen drei Allergen-Beauftragte Rede und Antwort. Leiter Hubert Regul ist einer von ihnen, er ließ sich im zweitägigen Seminar eines Hygiene-Instituts schulen. In seiner Speisekarte hebt das Feierabendhaus deutlich hervor, dass es für alle Kunden eine Allergen-Information bereit hält. Auf Wunsch holt die Bedienung den Allergen-Beauftragten oder einen Ordner und geht mit dem Gast die Speisen durch. Zweimal täglich wird in dem Restaurant des Chemieparks ein neuer Ordner mit Informationen über die Inhaltsstoffe ausgedruckt.

Hubert Regul: "Wir haben eine Sammlung mit tausenden Rezepten, allein 350 Rezepte für Suppen." Fast fünf Monate dauerte es, die Datenbank des Feierabendhauses mit sämtlichen Allergen-Informationen zu füttern. "Ein Mitarbeiter hat nichts anderes mehr gemacht", sagt der Restaurantleiter. "Darüber macht sich kein Gesetzgeber Gedanken. Da wird eine Mücke zum Elefanten gemacht - und letztendlich bezahlt es der Gast."

Bis die neue Richtlinie in Marl umgesetzt ist, werden nach Expertenmeinung noch Monate ins Land gehen. Da der Bund die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht verschlafen hat, werden die Lebensmittelkontrolleure des Kreises vorläufig keine Bußgelder verhängen.