herne. Die zweieinhalbstündige Informationsveranstaltung der Stadt zur Suez-Erweiterung hat am Widerstand von Bürgern und Polikern nichts geändert.
Einen Superlativ hat Achim Wixforth zu Beginn der Informationsveranstaltung zur Suez-Erweiterung bemüht: Er könne sich an keinen Termin erinnern, so der Fachbereichsleiter Umwelt und Stadtplanung im Sud- und Treberhaus, bei dem die Bezirksregierung Arnsberg mit so großer Mannschaft in Herne gewesen sei. Es gab allerdings in den vergangen Jahren auch keinen Anlass, bei dem der Widerstand in Bevölkerung und Politik gegen eine in die Zuständigkeit der Bezirksregierung fallende Entscheidung so groß war. Daran hat sich auch nach der über weite Strecken kontroversen Abend wenig geändert.
Die Veranstaltung
Als Reaktion auf offene Fragen und Proteste aus der Bevölkerung hatte die Stadt die Firma Suez und die Bezirksregierung eingeladen. Von der Arnsberger Aufsichtsbehörde und dem Herner Unternehmen nahmen jeweils drei Vertreter auf dem Podium Platz, um den rund 150 Bürgern Rede und Antwort zu stehen. Die Moderation übernahm der freie Journalist und frühere WAZ-Redaktionsleiter Jochen Schübel. Nach einer halben Stunde drohte eine Eskalation, weil Bürgern offenbar nur die Rolle des Fragestellers zugestanden werden sollte. Auf Intervention von Norbert Ingler von der Bürgerinitiative „Dicke Luft“ (BI) durften Bürger ihre Fragen dann auch mit Statements verbinden.
Die Firma
Als Spezialist im Behandeln von Böden mit Altlasten vor allem aus den 50er- und 60er-Jahren stellte Suez-Geschäftsführer Volker Lohmann das seit 1992 an der Südstraße ansässige Unternehmen zu Beginn der Veranstaltung vor. Ziel des Antrags an die Bezirksregierung sei eine „Optimierung des Anlagebetriebs“, unter anderem beim Arbeitsschutz und der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die von Suez beantragte Kapazitätserweiterung bezeichnete Lohmann als „Erhöhung der jährlichen Aufsatzleistung“.
Er räumte auf Nachfrage von Ingrid Reckmeier (BUND) ein, dass Suez auch Bohrschlämme aus Niedersachsen an der Südstraße bearbeiten könnte. Diese könnten radioaktive Partikel enthalten, so Reckmeiers Warnung. Solche Bohrschlämme seien bisher nicht in der Suez-Anlage bearbeiten worden. Das gelte „voraussichtlich“ auch für die Zukunft, so Lohmann. Suez-Betriebsrat Bernd Düvel ergänzte, dass man keine radioaktiven Böden annehmen werde, da diese eine Gefährdung für Mitarbeiter darstellen würden.
Suez-Störfallbeauftragter Heinrich Hörmeyer erklärte, dass von der Anlage „kaum Gefahr“ ausgehe. Der schlimmste denkbare Störfall wäre das Brechen eines Propangastanks, das in einem Radius von 112 Metern zum Zersplittern von Scheiben führen könnte. Zur Kritik am Suez-Standort in Herne sagte Lohmann: „Wir haben ja nicht die Möglichkeit, uns das Werk auf den Rücken zu schnallen und woanders hinzugehen.“ Sie nähmen ihre Verantwort aber sehr ernst und gäben sich Mühe, „so gut wie möglich zu arbeiten“.
Die Aufsichtsbehörde
Er werde persönlich über die beantrage Änderung der Genehmigung entscheiden, sagte Karsten Schmidt, technischer Dezernent der Bezirksregierung. Diese Entscheidung sei noch nicht gefallen. Die Genehmigungsvoraussetzungen seien genau definiert, einen Ermessensspielraum oder eine Abwägung gebe es nicht. Die Entscheidung werde auf Basis von zahlreichen Gutachten, Prognosen und Untersuchungen getroffen, so Schmidt. Diese Unterlagen seien auf der Homepage der Bezirksregierung einsehbar. Das gelt auch für ein Gutachten des Landesumweltamtes (Lanuv), über dessen Offenlegung es zuletzt Irritationen gegeben hatte. Die vom Linke-Vorsitzenden Daniel Kleibömer zweimal gestellte Frage, ob es für die Anlage von Suez nach der aktuellen Gesetzgebung an diesem Standort eine Betriebserlaubnis geben würde, beantwortete die Bezirksregierung nicht.
Die Bürger
Mehrere betroffene Anwohner schilderten ihre Sorgen und Ängste, zeigten aber auch Unverständnis über die Existenz dieser Anlage in einer Stadt wie Herne. „Wenn ein solches Werk in Münster oder Dortmund stehen würde, würde man anders damit umgehen. Das ist ein Verbrechen an unserer Gesundheit“, sagte BI-Mitglied und Suez-Anwohner Norbert Ingler. Den Hinweis der Bezirksregierung, dass in Herne alle Grenzwerte eingehalten würden, stellte er in Frage: „Wir alle wissen doch, wie mit Grenzwerten umgegangen wird.“
Ein Anwohner der Bachstraße berichtete, dass seine großen Erwartungen an die Veranstaltung enttäuscht worden seien: „Es gibt Argumente und Gegenargumente. Und am Ende siegt der Stärkere.“ Er sei Krankenpfleger und habe mit krebskranken Menschen zu tun: „Kommen Sie mal auf eine Intensivstation oder eine Palliativstation für krebskranke Kinder. Vielleicht denken Sie dann noch mal über Ihre Entscheidung nach“, sagte der junge Mann in Richtung Suez und Bezirksregierung.
Michael Schulte berichtete, dass er vor neun Jahren nach Herne gezogen sei und vor sieben Jahren aus Unwissen „den Fehler“ gemacht habe, in der Nähe von Suez ein Haus zu bauen. Er kritisierte, dass er sich mit den Behörden beim Bau eines „beschissenen Carports“ um zwei Zentimeter streiten müsse, Unternehmen wie Suez jedoch eine „Permanentbelastung“ erlaubt werde.
Der Umweltexperte
Starken Gegenwind für Suez und die Bezirksregierung gab es von Oliver Kalusch. „Das ist viel mehr als eine Anlage für kontaminierte Böden. Das ist ein Allesfresser“, sagte das Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Suez stoße eine Vielzahl krebserregender Stoffe aus. Und: Die Anlage sei von vorgestern und entspreche nicht dem aktuellen Stand der Technik. Eine derart stark belastete Region habe Anspruch auf die bestmögliche Technik: „Ein Konzern wie Suez wird nicht in Konkurs gehen, wenn die Abgasreinigung auf dem neuesten Stand ist“, sagte Kalusch, der im behördlichen Genehmigungsverfahren eine schriftliche Stellungnahme gegen die Erweiterung eingereicht hatte. Auf Intervention von Kalusch räumte die Bezirksregierung ein, dass es bei der Ausnahmegenehmigung für höhere Stickoxid-Grenzwerte sehr wohl einen Ermessensspielraum für die Aufsichtsbehörde gebe. Das würden sie derzeit prüfen, sagte Dezernent Schmidt.
Die Hiberniaschule
Um die Gesundheit der 1200 Kinder und Jugendlichen der Hiberniaschule sorgten sich die Elternrats-Mitglieder Daniel Fey und Tania Reinicke. Lkw-Transporte mit kontaminierten Böden führen auf der Holsterhauser Straße an der Schule vorbei. Es seien auch schon stark verstaubte Lkw beobachtet worden, die auf dem Weg nach Suez gewesen seien. Die Frage, ob auszuschließen sei, dass es sich bei dem Staub um kontaminiertes Material gehandelt habe, beantwortet die Bezirksregierung mit dem Verweis auf die Vorgaben: Ladungssicherheit sei Aufgabe des Abfallerzeugers, so Schmidt. Es würden aber auch Kontrollen und Stichproben von jeweils dafür zuständigen Behörden durchgeführt.
Die Politik
BI-Mitglied Norbert Ingler zollte der Herner Politik ein großes Lob: „Es ist klasse, was im Rat abgelaufen ist“, sagte der Schulleiter im Ruhestand unter Bezug auf die am Dienstag einstimmig verabschiedete Resolution gegen Suez. An der Veranstaltung im Sud- und Treberhaus nahmen auch zahlreiche politische Mandatsträger teil. Während SPD und CDU vorab vereinbart hatten, sich nicht zu Wort zu melden, um Bürgern den Vortritt zu lassen, beteiligten sich Vertreter anderer Parteien und insbesondere der Piraten rege an der Diskussion. Piraten-Ratsherr Andreas Prennig, von Beruf Chemietechniker, berichtete „aus Erfahrung“, dass andere Bezirksregierungen den Bestandsschutz derartiger Anlagen anders bewerten und restriktiver gegen Unternehmen vorgingen. Insbesondere die Tatsache, dass die Firma Suez eine Ausnahmegenehmigung für den Ausstoß von Stickoxiden besitze und diese möglicherweise noch erweitert werden könnte, stieß Prennig sauer auf: „Wir stehen vor Fahrverboten für Dieselautos wegen zu hoher Stickoxidwerte und Sie blasen mehr Stickoxide aus als gesetzlich erlaubt.“ Diese Ausnahmegenehmigungen hätten heute keine Berechtigung mehr; es gehe dabei „um rein wirtschaftliche Interessen“.
Die Stadt
Die Stadtverwaltung spielte in der Informationsveranstaltung nur eine Nebenrolle. Umweltdezernent Karlheinz Friedrichs betonte zu Beginn, dass die vom Rat verabschiedete Suez-Resolution auch einen Appell an das Unternehmen beinhalte. Demnach solle das Unternehmen „in regelmäßigen Abständen – mindestens alle sechs Monate – die Öffentlichkeit informieren, welche Art von kontaminierten Böden und welche Mengen zur Weiterverarbeitung von dem Unternehmen angenommen wurden“. Ebenfalls solle bekannt gegeben werden, welche Schadstoffe im jeweiligen Berichtszeitraum in die Luft abgegeben worden seien, um so für eine bessere Transparenz in der Bevölkerung zu sorgen. Ob Suez diesem Appell folgen wird, blieb in der Informationsveranstaltung offen.
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