Gelsenkirchen. Jürgen von der Lippe holt seinen Auftritt im Musiktheater Gelsenkirchen nach. Das Gendern bügelt er aus Überzeugung ab – mit lehrreichen Pointen.
Ein ganzer Abend zum Thema „Liebe“ sollte es werden, versprach Jürgen von der Lippe. Dabei gilt seine Liebe nach wie vor vor allem dem geschliffenen Wort, der präzisen Pointe, und einem gewissen Bildungsauftrag. „Willkommen zur Vorlesung“ grüßte er die gut 1000 Besucher im ausverkauften Musiktheater, die immerhin zweieinhalb Jahre auf seinen Auftritt mit dem Programm „Voll fett“ warten mussten. Sie wurden nicht enttäuscht.
„Grandseigneur“, also etwa „wortgewandter, vornehmer Mann“, das Attribut kennzeichnet sicherlich treffend den inzwischen 75-Jährigen. „Altmeister“ liegt in der Vokabelkiste gleich daneben. Die Google-Suche liefert dazu allerdings einen feinwürzigen Essig oder einen Magenbitter. Passt auch, denn die Gäste konnten sich entspannt zurücklehnen und „voll fette“ zweieinhalb Stunden Programm mit einer wirklich kurzen Pause genießen.
Jürgen von der Lippe im Musiktheater: Darauf hat Gelsenkirchen lange warten müssen
Wäre da nicht das stetige Quietschen und Glucksen gewesen. Fürsorglich fragte der Entertainer im traditionell bunten Hemd denn auch „Bei welchem Gag sind Sie gerade?“. Das zählt sicherlich mit zur Altersmilde, „die mich am Wickel hat“, es geschieht alles „nur aus Güte“, verspricht er.
So ging er auch rücksichtsvoll mit dem „Außenkobold Anna Lena“ und „the Voice Olaf Scholz“ um. Keine Rücksicht nimmt er aber bei seinen ureigenen Themen, also Grammatik und Medizin. Das Gendern bügelt er aus Überzeugung ab, streut aber gleichwohl Wissen in die Reihen. Der Bäcker sei eben nur dann ein Backender, wenn er gerade backe, nicht auf dem Klo.
Selbst Sprechpausen werden bei Jürgen von der Lippe zu Pointen
„Die Sprechpause vor dem Asterisken, dem typografischen Sternchen“, glänzt von der Lippe weiter, „ist ja der Glottis-Schlag, wie im Französischen das stimmlose „h“ nach einer Pulle Rotem“. „Was müssen Außerirdische denn dabei wohl denken, die Deutsch können“, fährt er fort, aber noch vor der Pointe hebt hier schon wieder das Glucksen und Quietschen an, „meinen die doch: Ach, guck mal, der hat wohl ‘nen leichten Schlaganfall.“
Was bei anderen Comedians derb ist, verliert bei von der Lippe die Härte. Er nutzt Präzision und macht daraus Eleganz, greift zum Florett statt zum Säbel. Drastisch kann er trotzdem, aber die Darreichung ist eben charmant. Liebevoll gerät entsprechend auch seine Ausführung zum Thema „furzen“, laut Statistik immerhin eine so menschliche, darmgesunde und vitale Lebensäußerung, dass sie 14 mal täglich erscheine.
Allerdings müsse korrekt von „deflatieren“ die Rede sein. „Flatulenz ist ja das Geschehen im Darm, die Blähung“, schickt er äußerst trocken hinterher. „Wollen Sie sich keine Notizen machen?“, steigert dann die Wirkung noch einmal. Von der Lippe kommt nicht umhin, sich auch dem Alter und dem Altern zu widmen, etwa dem „Feinkost-Gewölbe“, auf das das gewohnt bunte und offene Hemd den Blick freigibt.
Was Alpha-Kevin von Vollhorst unterscheidet
Also gräbt er im reichen Schatz der „Jugendworte“, auch wenn sie es nicht in die Hitliste geschafft haben. Als „Komposti“ oder „Grabverweigerer“ lässt er sich genießerisch über den Begriff „Alpha-Kevin“ aus, den er keineswegs despektierlich finde. Denn schließlich rege sich niemand ähnlich über einen „Vollhorst“ auf. Gleichgültig, wer von beiden eher „zerebral eingetrübt“ sei.
Selbst ohne auszuformulieren, nur mit Blicken steuert er den pointierten Effekt. Bei „Germanys Next Top Model“ habe er (erstes Kichern, strenger Blick) den Anblick der Damen wohl genossen (schweigende Spannung). „Aber dann haben die gesprochen“, (Kichern), „und ich dachte nur: Ihr braucht Hilfe“. Tosendes Gelächter, begeisterter Applaus. Das Warten hat sich gelohnt.
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