Verkehrspolitik

Radstraßen-Streit in Rüttenscheid kann politisch eskalieren

| Lesedauer: 4 Minuten
Ein Kommentar von Frank Stenglein, Redaktionsleiter der WAZ Essen.

Ein Kommentar von Frank Stenglein, Redaktionsleiter der WAZ Essen.

Foto: WAZ

Essen.  Zahlen und Umfragen zur Fahrradstraße Rü gefallen der Radlobby nicht. Essens OB spielt auf Zeit. Warum der Konflikt sich gerade weiter aufheizt.

Die Fahrradstraße in Rüttenscheid missfällt vor allem denen, für die sie gedacht ist: den Fahrradfahrern. Diese nun offizielle Zwischenbilanz nach gut einem Jahr klingt absurd, kommt aber nicht überraschend, denn schon seit Monaten halten die Klagen aus diesem Lager an. Die Rüttenscheider Hauptstraße mit ihren vielen Funktionen und ganz unterschiedlichen Anlieger-Interessen war eben nie als Fahrradstraße geeignet, weil allein schon der Begriff eine Exklusivität suggeriert, die nur mit der Brechstange einzulösen wäre.

Es gibt an der Rü auch entspannte Zeiten, das geht manchmal unter

Immerhin: Diejenigen Fahrrad-Privilegien, die es gibt – etwa das erlaubte Nebeneinanderfahren – funktionieren so schlecht nicht. Überhaupt gibt es neben dem für boomende Quartiere nicht untypischen Gedränge verkehrlich auch entspannte Zeiten an der Rü, was in der Hitze des Gefechts manchmal etwas untergeht.

Namentlich die Fahrradlobby fordert aber natürlich mehr. Die Kommunalpolitik, die sich in das Fahrradstraßen-Dilemma hat treiben lassen, muss nun sehen, wie sie die Lage befriedet. Für SPD und Grüne, munitioniert von der ziemlich durchgegrünten Fachverwaltung, ist die Sache klar: Sie wollen die Autos stärker zurückdrängen, etwa durch Abbiegezwänge oder das Umfunktionieren der Rü in eine Einbahnstraße. Viele Anwohner und Gewerbetreibende halten davon wenig bis nichts.

Tempo 30 tut der Rüttenscheider Straße sehr gut

Dass die Einzelhändler mit der Fahrradstraße, wie sie jetzt ist, anscheinend teilweise ihren Frieden gemacht haben, unterstreicht das sogar. Denn noch wurde ja der motorisierte Individualverkehr nur gebremst, nicht aber ausgeschlossen. Gegen das Bremsen ist übrigens gar nichts zu sagen, Tempo 30 für alle tut der Rü sehr gut.

Es ist außerdem richtig, dass nun endlich auch die IHK das Thema entdeckt hat und die Stimme der Wirtschaft in dieser auch symbolisch aufgeladenen Debatte werden will. Das wird dem Standort Rüttenscheider Straße gerecht, deren Erfolg sehr maßgeblich vom Gedeihen der erfreulich vielen Einzelhändler und Dienstleister abhängt. Wirtschaftlich prekäre Stadtteil-Hauptstraßen gibt es in Essen wahrlich schon genug.

Nicht nur die Essener CDU, auch die Grünen stehen in Rüttenscheid unter Druck

Inwieweit die CDU und der OB dabei sind, sich weichkochen zu lassen, ist derzeit schwer zu beurteilen. Es besteht bei unverändert unterschiedlichen Ansichten durchaus die Gefahr schlechter Laune in der schwarz-grünen Rathaus-Koalition. Denn auch die Grünen stehen in Rüttenscheid unter Druck, ausgelöst durch das ihnen gewogene Milieu und ihre politischen Vorfeldorganisationen, die oftmals kompromissloser und radikaler sind als sie selbst. Die Dinge könnten irgendwann zu einer Prestigefrage eskalieren.

Dass jetzt die Polizei Zünglein an der Waage spielen soll – dies aber erst in einem halben Jahr –, zeigt erstens, dass Thomas Kufen auf Zeit spielen will. Zweitens soll die Entscheidung über weitere Restriktionen offenbar nicht verkehrspolitisch, sondern mit Verkehrssicherheit begründet werden. Das ist schlau, denn so wäre das Thema der stark ideologischen Betrachtung entwunden und auf ein Feld gestellt, das deutlich weniger Diskussionen zulässt: dem der Verkehrssicherheit.

Die Frage der Auto-Sperren wird sich wohl am Thema Verkehrssicherheit entscheiden

Wenn also die Polizei die Konflikte zwischen Rad und Auto für zu groß hält, wird es an der Rü wohl irgendwann im Herbst 2022 zu Sperren kommen; wenn nicht, dann vielleicht nicht. Ob man über eine so wichtige kommunalpolitische Frage faktisch Polizeibeamte befinden lassen sollte, ist zwar sehr zu bezweifeln, passt aber prima zum Rüttenscheider Verkehrs-Absurdistan.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Essen