Essen. Die Polizei darf keine Fotos von Demonstranten machen und diese für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzen. Das stellte das Verwaltungsgericht klar.
Bei Demonstrationen wird fotografiert, was der Smartphone-Akku hergibt. Nur eine Gruppe wird sich künftig mehr denn je zurückhalten müssen: die Polizei. Und sie darf schon gleich gar keine Bilder im Netzwerk Facebook oder über den Kurznachrichten-Dienst Twitter veröffentlichen, das bekamen Essens Ordnungshüter am Dienstag aus gegebenem Anlass vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ins Stammbuch geschrieben.
Auslöser für den Streit war eine Demonstration am ersten Mai-Sonntag auf dem Steeler Dreiringplatz. Dort hatte das Anti-Rechts-Bündnis „Essen stellt sich quer“ zu einer Demo gegen den Aufmarsch einer Gruppierung namens „Mütter bzw. Eltern gegen Gewalt“ aufgerufen. Rund 200 Personen waren vor Ort, besondere Vorkommnisse gab es aus polizeilicher Sicht keine. Aber da die Polizeidienststellen im Land ihre Öffentlichkeitsarbeit auch durch Facebook- und Twitter-Meldungen intensivieren sollen, knipsten und filmten die Beamten der hiesigen Polizeipressestelle eifrig drauf los und stellten die Bilder anschließend ins Netz.
Vergeblicher Hinweis schon bei der Demo
Dies störte eine ganze Reihe von Teilnehmern, die die Aktion für rechtswidrig hielten. Ein Rechtsanwalt wies die Polizisten nach eigenem Bekunden vor Ort auch darauf hin – vergeblich. Stattdessen entdeckte sich Christian Baumann (32), Versammlungsleiter der Gegendemo und einer der Kläger in Gelsenkirchen, auf Fotos wieder, die die Polizei unter anderem bei Facebook einstellte. Mit einigem technischem Geschick konnten Betrachter diverse Gesichter von einzelnen Teilnehmern herausfiltern.
Ohne dafür in die juristische Grundlagenforschung einsteigen zu müssen, stellten die Verwaltungsrichter schnell fest: Diese Maßnahme der Polizei war eindeutig rechtswidrig. Denn schon das Bundesverfassungsgericht wie auch das zuständige Oberverwaltungsgericht Münster hatten bereits entschieden, dass die Polizei überhaupt keine Fotos bei Demos machen dürfe – ganz zu schweigen von deren Veröffentlichungen.
Messlatte für Aufnahmen liegt hoch
Die Polizei darf zum Beispiel nicht einmal Kameras oder Fotoapparate herzeigen, denn dies könne Bürger einschüchtern und so davon abhalten, an der Kundgebung teilzunehmen. Etwa aus der Befürchtung heraus, Fotos von ihnen könnten archiviert und bei passender Gelegenheit hervorgekramt werden. Dies, so die Rechtsprechung zu Artikel 8 des Grundgesetzes, verstoße gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit.
Allerdings gibt es, so betonte der Vorsitzende Richter, eine Ausnahme: Fotos sind erlaubt, wenn es belastbare Anhaltspunkte für Straftaten wie Gewalt, Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Ähnliches gibt. Doch dafür liegt die Messlatte recht hoch. Und die Gefahreneinschätzung muss (mindestens im Nachhinein) einer richterlichen Überprüfung standhalten.
Der Fall aus Steele dürfte nicht nur der Essener Polizei Anlass zum Nachdenken geben. Letztlich ungenaue Dienstanweisungen – und nichts anderes ist ein Runderlass – müssen auf dem Boden des geltenden Rechts stehen. Darauf muss sich auch der einzelne Polizeibeamte vor Ort verlassen können. Demonstranten dürfen, so der Vorsitzende, Selfies ins Netz stellen oder Zeitungen auch per Fotos über das Geschehen berichten. Die Polizei darf diese Darstellungen bei Bedarf auswerten. Es geht aber nicht, dass sie selbst das Grundgesetz aushebelt und die Teilnahme an Demos auch nur erschwert.
Christian Baumann vom Bündnis „Essen stellt sich quer“ bezeichnete das (vorerst allerdings noch nicht rechtskräftige) Urteil als „großen Erfolg“: „Unser Anliegen war und ist, dass Bürgerinnen und Bürger ohne Furcht vor Überwachung durch den Staat an Demonstrationen und Kundgebungen teilnehmen können.“
Die Essener Polizei erklärte nach der Verhandlung, dass sie im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit keine Fotos mehr von Teilnehmern auf Demonstrationen erstellen und ins Netz stellen werde. „Wir respektieren natürlich das Urteil“, erklärte Polizeisprecherin Judith Herold dieser Zeitung. Das Präsidium wartet jetzt die schriftliche Urteilsbegründung ab, um über weitere Konsequenzen zu beraten. (AZ.: 14 K 3543/18)
>> SCHON VOR DEM URTEIL GAB ES ÄRGER
Dass die Pressestelle der Polizei mit der Veröffentlichung von Fotos aus der Demonstranten-Schar zu weit ging, war schon früh klar.
Vom Land gab es einen Rüffel, das Innenministerium wies die örtliche Pressestelle an, die Gesichter zu pixeln. Denn dass das Recht am eigenen Bild zu beachten sei – auch das war Thema eines Erlasses.
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