Landgericht Essen

Gewalt-Orgie in Essener Straßenbahn: Urteile gegen Täter

| Lesedauer: 6 Minuten
Im Bild der Prozessauftakt am Landgericht Essen am Donnerstag 20. Juli. Am Montag, 28. August, sind die Urteile gegen die beiden Angeklagten gefallen. Die Männer müssen ins Gefängnis.

Im Bild der Prozessauftakt am Landgericht Essen am Donnerstag 20. Juli. Am Montag, 28. August, sind die Urteile gegen die beiden Angeklagten gefallen. Die Männer müssen ins Gefängnis.

Foto: André Hirtz / FUNKE Foto Services

Essen.  Zwei Männer haben in einer Essener Straßenbahn einen 35-Jährigen fast totgeprügelt, auch „Aktenzeichen XY“ berichtete. Nun sind Urteile gefallen.

Kaum ist das Urteil am Montag gesprochen, geht der 35-jährige Essener auf Abstand. Die Nähe der Angeklagten könne er bis heute nicht ertragen. Fast ein Jahr ist es her, dass er von ihnen in der Straßenbahn-Linie 103 beinahe zu Tode geprügelt worden war. Nun sind die beiden Täter verurteilt, müssen ins Gefängnis. Nach den jetzt Verurteilten hatten die Ermittler Anfang des Jahres auch mit Hilfe der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ gesucht. Die ausgestrahlten Bilder aus einer Überwachungskamera riefen bundesweit Entsetzen hervor.

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Die 24. Strafkammer des Essener Landgerichts hat die beiden 20 und 33 Jahre alten Männer aus Rumänien und Polen nun zu jeweils drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt – wegen gefährlicher Körperverletzung. Richter Lukas Hempel spricht bei der Urteilsverkündung von „ganz schlimmen Folgen“ für das Opfer.

Von einem versuchten Totschlag, wie ursprünglich angeklagt, könne aber keine Rede sein. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es den Angeklagten egal gewesen sei, sollte ihr Opfer durch die Schläge sterben. Vor Gericht ist von einer „Spontantat“ und von „alkoholischer Enthemmung“ die Rede. Mit dem Urteil bleiben die Richter unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die fünf, beziehungsweise fünfeinhalb Jahre Haft gefordert hatte. Der ältere der beiden Angeklagten hatte auf Bewährung gehofft.

Essener (35) wurde in Straßenbahn ins Koma geprügelt

Es war der 17. September 2022, ein Samstag, als die Angeklagten den 35-Jährigen ins Koma prügelten. Auf Bildmaterial ist zu sehen, wie sie gar nicht mehr aufhören. „Es wurde mit voller Wucht, ununterbrochen und rhythmisch zugeschlagen“, sagt Richter Hempel am Montag.

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Der 35-Jährige kam damals aus Dortmund, hatte sich im Stadion ein Heimspiel des BVB angesehen. Für ihn ist seit jenem Tag nichts mehr so, wie es einmal war: Das Schlimmste seien die quälenden Kopfschmerzen, die er nur durch Sauerstoff lindern könne. Auch bei der Urteilsverkündung hat er ein Atemgerät dabei.

„Das hilft mir am besten“, sagt er nach Prozess-Ende. Arbeiten könne er noch immer nicht. Dabei habe er vor einem Jahr doch gerade einen neuen Job in der Telekommunikations-Branche antreten wollen. Auch Sport habe er seitdem nicht mehr gemacht – aus Angst, dem älteren Angeklagten auf dem Weg ins Fitnessstudio über den Weg laufen könnte. Der 33-jährige Täter befindet sich auf Kaution auf freiem Fuß und soll ganz in der Nähe des Sportstudios wohnen, das das Opfer eigentlich besucht.

Prügel-Opfer geht am Landgericht Essen absichtlich in die falsche Richtung

Um auch vor dem Gericht nicht auf den Angeklagten zu treffen, schlägt der Essener nach Verlassen des Gerichtsgebäudes erstmal die falsche Richtung ein, dreht sich dann immer wieder um. „Steht der da noch?“, fragt er sich – entschließt sich dann irgendwann aber doch, am Angeklagten vorbeizugehen: „Augen zu und durch.“

Auch im Stadion war der BVB-Fan aus Essen seit der Tat vor fast einem Jahr nicht mehr. Große Menschenmengen machten ihm Angst, erzählt er. Dabei hätte es durchaus Gelegenheiten gegeben. Freunde besitzen Dauerkarten, die er ab und an auch mal nutzen dürfe.

Der ältere der beiden Angeklagten habe ihm im Prozess 1000 Euro Schmerzensgeld angeboten, als Anzahlung. Das hat der Essener aber abgelehnt. „Nicht verhältnismäßig“, sagt er dazu und beziffert seinen Gehaltsausfall auf aktuell rund 25.000 Euro. Außerdem müssten die ausgeschlagenen Zähne gemacht werden. Auch dafür fehle ihm das Geld.

Essener Richter: Opfer habe „immer wieder provoziert“

Ganz unschuldig sei er laut Urteil allerdings auch nicht: Die Richter gehen davon aus, dass es das spätere Opfer war, das die Angeklagten in der Straßenbahn 103 in Richtung Steele immer wieder provoziert hatte. „Die Angeklagten haben mehrfach beschwichtigende Gesten gemacht und sich sogar abgewendet“, sagt Richter Lukas Hempel. Das sei auf den Videoaufzeichnungen klar zu sehen. Was genau gesprochen wurde, ist im Prozess unklar geblieben.

Es sei ebenfalls das spätere Opfer gewesen, das einen der Angeklagten zunächst in den Nacken gepackt habe. Daraufhin folgte der erste Faustschlag in das Gesicht des 35-Jährigen. „Dieser Schlag wäre sicher noch durch Nothilfe gedeckt gewesen“, heißt es im Urteil. „Alles, was danach kam, natürlich nicht mehr.“

Beendet war die Prügelattacke, als sich ein unbeteiligter Fahrgast einmischte. Erst dann ließen die Angeklagten von ihrem Opfer ab und verließen die Straßenbahn. Der bewusstlose 35-Jährige wurde damals ins Krankenhaus gebracht, die Ärzte stellten später unter anderem ein Schädelhirn-Trauma fest. „Das war akut lebensgefährlich“, sagt Richter Hempel.

„Aktenzeichen XY…ungelöst!“: Essener Fall im ZDF ausgestrahlt

Im Prozess hatten die beiden Angeklagte Geständnisse abgelegt, eine Tötungsabsicht aber bestritten. Die 20 und 33 Jahre alten Männer hatten sich am Tattag erst kurz vorher auf einer Geburtstagsparty kennengelernt – und waren gemeinsam mit ihren Freundinnen auf dem Heimweg. Der Jüngere hatte im Verlauf des Prozesses gesagt: „Ich habe die Kontrolle über mich verloren. Ich konnte nicht mehr aufhören.“

Für den 35-Jährigen aus Essen ist der Alptraum noch nicht vorbei, bald sollen eine Trauma-Therapie und eine Reha anstehen. Dann soll auch die Wiedereingliederung in das Berufsleben erfolgen.

Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht.

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