Essen. Das Ziel CO2-Neutralität zwingt alle Stadtwerke, ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Peter Schäfer, Vorstand in Essen, sieht die Debatte gelassen.
Es war ein Paukenschlag für die kommunale Energiewirtschaft, als der einflussreiche Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen, jüngst die Stadtwerke in Deutschland aufforderte, sich mit dem Rückbau des Gasnetzes zu beschäftigen. „Natürlich ist im Jahr 2045 da kein Gas mehr in den Netzen“ wird Graichen bei einer Veranstaltung mit Vertretern der Stadtwerke zitiert. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) übte scharfe Kritik, sprach von „Entwertung einer Infrastruktur“, die noch lange benötigt werde und monierte, der energiepolitische Chefplaner der Bundesregierung habe „das Pferd von hinten aufgezäumt“.
Essens Stadtwerke-Chef sieht mit Erdgas keine Chance auf CO2-neutrale Energieversorgung
Entspannter sieht Peter Schäfer, Vorstandschef der Essener Stadtwerke, die Diskussion. „Wenn wir eine CO2-neutrale Energieversorgung haben wollen, dann fällt Erdgas aus“, bilanziert Schäfer. Schäfer teilt Graichens Meinung, dass es „Träumerei“ sei zu glauben, durch die Erdgasrohre dann ersatzweise eben Wasserstoff zu leiten, wie es vielen Vertretern der Branche vorschwebt. Für das Heizen von Haushalten sei Wasserstoff viel zu teuer. Schäfer glaubt nicht, dass sich dies grundlegend ändert.
Was die Energieeffizienz bei der Raumwärme und der Warmwasserzubereitung betrifft, sei die allerdings auch dreimal so teure Wärmepumpe dem Gaskessel deutlich überlegen. Je nach Qualität der Wärmepumpe und Isolierungsstandard des jeweiligen Wohngebäudes benötige ein Gaskessel fünf bis achtmal so viel Energiezufuhr für die gleiche Leistung, rechnet der Stadtwerke-Chef vor. Neben der Wärmepumpe habe nur die Fernwärme eine sehr hohe Energieeffizienz. Wenn beispielsweise wie in Essen eine Müllverbrennungsanlage existiert und befüllt wird, ist es naheliegend, die ohnehin vorhandene Abluft sinnvoll zu nutzen, statt sie ungenutzt in die Atmosphäre zu entlassen.
Für die Industrie ist Gas noch lange schwer ersetzbar
Es sei daher nachvollziehbar, wenn über das Ende des Gasnetzes in der Breite nachgedacht wird. „Weite Teile des Netzes sind in wenigen Jahrzehnten überflüssig.“ Für die Industrie sei Gas allerdings nach jetzigem Stand noch lange schwer ersetzbar, räumt auch Schäfer ein. Drastischer formuliert dies der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs (DVGW). Zwei Drittel des in Deutschland verbrauchten Erdgases gehe an Industrie und Gewerbe. Schon deshalb verbiete sich die Forderung nach dem Abbau des Netzes, es sei denn, man wolle die Vertreibung der Industrie und ihrer Arbeitsplätze riskieren. Der VKU mahnt „Technologieoffenheit“ an und warnt auch vor der alleinigen Konzentration auf das Thema Wärmepumpe.
Auch Schäfer betont, dass Rückbau oder weitgehende Stilllegung des Gasnetzes kein Projekt der nächsten Jahre ist. „Ich habe Herrn Graichen so verstanden, dass wir als Stadtwerke uns dazu mittel- und langfristig Gedanken machen sollen.“ Um die Stadtwerke zukunftsfest zu machen, sei das unabdingbar. Auch in Essen gebe es entsprechende Überlegungen.
Gas-Netz in Essen steht mit 140 Millionen Euro in den Büchern der Stadtwerke
Leicht fiele ein Netz-Abschied allerdings auch in Essen nicht, denn die Stadtwerke haben über Jahrzehnte mit hohem Aufwand im Stadtgebiet Tiefbau betrieben, um auch in locker besiedelten Gegenden ihre Leitungen zu verlegen. Rund 1800 Kilometer misst das Gasnetz in Essen, mit 140 Millionen Euro steht es laut Schäfer in den Büchern der Stadtwerke.
Die Zeit der Expansion sei allerdings vorbei, eben weil Gas nie CO2-neutral sein könne und neue Leitungen 50 Jahre genutzt werden müssten, damit die Investition rentabel ist. „Wir schauen sehr genau hin, wenn wir heute noch neu verlegen“, so Schäfer. Praktisch geschehe dies allenfalls noch, wenn es innerhalb eines bestehenden Straßen- und Leitungsnetzes Verdichtungen gebe und dann neue Häuser angeschlossen werden müssten. „In ländlichen Stadtteilen gibt es sicherlich keine neuen Leitungen mehr.“
Stadtwerke-Chef sieht drohenden Energie-Notstand und mahnt zum Sparen
Seit dem Krieg in der Ukraine hat die Erdgas-Frage eine neue Dynamik erlangt, auch wenn es hier nicht um CO2-Neutralität, sondern um Versorgungssicherheit geht. In einer demnächst startenden Plakat-Kampagne fordern die Essener Stadtwerke die Bürger deshalb zum Sparen auf. Peter Schäfer fürchtet, dass je nach Weltlage im nächsten Winter der Gas-Notstand in Deutschland drohen könnte. „Die Bürger sind darauf nicht gut vorbereitet“, findet der Stadtwerke-Chef. Wenn Russland den Hahn zudreht, werde es mit ein, zwei Grad weniger in den Wohnräumen nicht getan sein. Daher sei jetzt es schon wichtig, Gas zu sparen, um die Speicher so voll wie möglich zu halten.
Keineswegs überraschend kommt zudem die Ankündigung, dass sich auch in Essen der Gaspreis zum Jahresende hin drastisch erhöhen wird. Um wie viel genau, dazu wollte sich Vorstandschef Schäfer aber noch nicht äußern.
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