Essen. Dass es nicht zum Prozess gegen den Todesschützen kommt, ist für das Vertrauen in die Polizei fatal, findet NRZ-Redakteur Wolfgang Kintscher.
Einem jungen Essener Polizisten wird diese Woche ein dicker Stein vom Herzen gefallen sein. Es war der 27-Jährige Beamte, der an jenem frühen Junimorgen Adel B. erschossen hat: Ein Drama, ganz sicher auch für ihn, und wer dem Todesschützen wider Willen leichtfertig „Mord“-Vorwürfe anhängt, der braucht wohl nicht nur dringend Nachhilfe hinsichtlich juristischer Mord-Merkmale. Sondern sollte sich auch darüber klar werden, in welch belastenden Ausnahme-Situationen Polizisten in einem solchen Fall stecken.
Und dennoch: Dass das Verfahren nach einer rekordverdächtigen Ermittlungszeit von gerade mal drei Monaten zu den Akten gelegt werden soll, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn auf der Recherche lastet die Hypothek einer falsch informierten Öffentlichkeit, die erst durch das Handy-Video eines Nachbarn erfuhr: Die bis dahin polizeilich verbreitete Version der Geschehnisse entsprach absolut nicht der Wahrheit.
So viele Fragen bleiben unbeantwortet
Das säte massives Misstrauen in die Behörden. Man hätte dem jungen Mann wünschen mögen, seine Notwehr-Lage und damit seine Unschuld hätten sich auch für Außenstehende nachvollziehbar in einem Prozess offenlegen lassen. Stattdessen bleiben jetzt entscheidende Details im Dunkeln und nähren bei empfänglichen Zeitgenossen Verschwörungstheorien, dass da Staatsanwälte allzu bereitwillig die polizeiliche Version durchwinkten.
Und so viele Fragen bleiben unbeantwortet: Warum war das SEK auch nach einer Stunde noch nicht vor Ort? Warum wurde ein Hundeführer eigens aus Köln (!) angefordert? Warum hatte die Polizei den späteren Tatort nicht vorab gesichert, wo sie doch wusste, dass Adel B. dort zuhause war? Gab es wirklich keine andere Chance, als einen Schuss in die Brustgegend abzugeben? Die Staatsanwaltschaft mag darauf ihre Antworten gefunden haben. Die aber bleiben im Detail nichtöffentlich, und das ist das Problem.
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