Erinnerungskultur

Alltag und Tod nach der Deportation nach Litzmannstadt

| Lesedauer: 3 Minuten
Eine „Fahrt ins Ungewisse“ war die Deportation ins Ghetto. Kuratorin Anne Ley-Schalles, Archivleiter Dr. Andreas Pilger und Museumsdirektorin Dr. Susanne Sommer (v.l.), die das ZfE leiten, in der Ausstellung.

Eine „Fahrt ins Ungewisse“ war die Deportation ins Ghetto. Kuratorin Anne Ley-Schalles, Archivleiter Dr. Andreas Pilger und Museumsdirektorin Dr. Susanne Sommer (v.l.), die das ZfE leiten, in der Ausstellung.

Foto: Michael Dahlke

Duisburg.  Die Wanderausstellung „Deportiert ins Ghetto“ erreicht Duisburg. Sie wurde vom Zentrum für Erinnerungskultur um Duisburger Schicksale erweitert.

Unter den 1003 jüdischen Frauen, Männern und Kindern, die am 27. Oktober 1941 vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf in den Deportationszug nach Litzmannstadt (das polnische Lodz) stiegen, waren 50 Duisburger. Einer von ihnen war Albert Lucas. Der 1906 geborene Textilkaufmann war wegen seiner „nicht-arischen Abstammung“ schon 1933 vom Kaufhof (vormals Leonhard Tietz) entlassen, in der Pogromnacht 1938 verhaftet und bis Januar im KZ Buchenwald inhaftiert worden. Seine Frau Liselotte starb am 13. April 1944 im Ghetto, Albert Lucas wurde im August 1944 nach Auschwitz gebracht. Er überlebte – als einer von 13 aus dem Zug, als einziger aus Duisburg.

Die Ausstellung „Deportiert ins Ghetto“, die das Zentrum für Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie (ZfE) im Kultur- und Stadthistorischen Museum zeigt, beleuchtet die letzte Etappe im Leben der Menschen, deren Biografie oft mit den Worten „Deportiert nach...“ endet, wie ZfE-Leiter Dr. Andreas Pilger sagt. Die Wanderausstellung des NRW-Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte wurde in Köln und Düsseldorf entwickelt und von ZfE-Mitarbeiterin Anne Ley-Schalles um Duisburger Aspekte erweitert. „Deportiert ins Ghetto“ schildert in sechs „Kapiteln“ vor allem das Leben im Ghetto, das im Staatlichen Archiv Lodz gut dokumentiert ist und so die „Biografien bis zum bitteren Ende“ erzählt werden können, so Pilger.

Kein Geld für Albert Lucas

Als die Menschen jüdischen Glaubens im Oktober 1941 in Duisburg und Düsseldorf, in Bonn und Köln in die Züge stiegen, waren sie bereits komplett ausgegrenzt und mussten seit einem Monat den „Judenstern“ tragen. 3014 Frauen, Männer und Kinder aus dem Rheinland fuhren in eine für sie ungewisse Zukunft. Was sie im Ghetto Litzmannstadt erwartete, muss schlimmer als jede Vorstellung gewesen sein. Das Ghetto war das Elendsviertel von Lodz gewesen, inzwischen mit mehr als 200.000 Menschen auf vier eingezäunten Quadratkilometern überfüllt, die Wohnungen leer, die hygienische Situation katastrophal. Die Deportierten aus dem Düsseldorfer Zug wurden in alten Schulgebäuden zusammen gepfercht, die Klassenzimmer mit 60 bis 70 Menschen belegt. Lebensmittel bekamen nur die, die Arbeit hatten, also längst nicht alle.

Im Mai 1942 gibt es die erste „Aussiedlung“, bei der 10.498 Juden aus dem „Altreich“ ins Vernichtungslager Kulmhof/Chelmo gebracht und in Gaswaggons ermordet werden, im September wird beschlossen, dass das Ghetto nur noch als Arbeits-Ghetto bestehen zu lassen.

Alle Kinder unter zehn, Ältere über 65 Jahren, Kranke und Arbeitslose, insgesamt 16.000 Menschen, darunter 5860 Kinder, werden mit brutalster Gewalt aus dem Ghetto geholt und ebenfalls in Kulmhof ermordet.

Entschädigungsanträge für Zwangsarbeit wurden abgelehnt

Bis zur Auflösung des Ghettos 1944 sterben noch einmal 13.000 Menschen an Unterernährung, Zwangsarbeit und Gewalt. Von Juni bis Juli werden weitere 7196 Menschen in Kulmhof ermordet, 68.000 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

Albert Lucas gründet nach Kriegsende ein Textilunternehmen in Mülheim, er wird 1946 führendes Mitglied der Industrie- und Handelskammer, ist ab 1962 als Handelsrichter beim Landgericht Duisburg aktiv, erhält 1966 das Bundesverdienstkreuz. Seine Entschädigungsanträge unter anderem für die Zwangsarbeit werden 1966 abgelehnt. Er stirbt 1972 in Mülheim.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Duisburg