Dortmund. Die brandschutztechnischen Mängel am Hannibal II in Dortmund-Dorstfeld sind noch gravierender als bisher in der Öffentlichkeit angenommen. Das geht aus einem nicht-öffentlichen Dokument hervor, das unserer Redaktion vorliegt.
Dass die Brandschutzmängel im Hannibal-Komplex in Dortmund-Dortsfeld gravierend sind, ist seit Monaten bekannt. Wie bereits im Oktober von unserer Redaktion berichtet, bestand nach zwei Begehungen in dem Gebäudekomplex im August und September die massive Sorge, dass im Falle eines Feuers Hunderte Menschen akut gefährdet wären, da einerseits das Gebäude in wenigen Minuten komplett verraucht sein könnte und andererseits die Feuerwehr keine Möglichkeit gehabt hätte, alle 753 Bewohner zu retten. Aus diesem Grund entschloss sich die Stadt Dortmund, das Gebäude am 21. September 2017 komplett zu räumen.
Wie gravierend diese Brandschutzmängel tatsächlich sind, wird erst deutlich, wenn man in die schriftliche Nutzungsuntersagung schaut, die die Stadt Dortmund am 11. Oktober 2017 an den Eigentümer des Hannibals II, die „Lütticher 49 Properties GmbH“ schickte.
„Akute lebensbedrohliche Gefahrenlage“
Sämtliche Gebäudeteile des Komplexes sind betroffen, Brandschutzmängel ziehen sich von Tiefgarage und vom Keller über Treppenhäuser und Wohnungen bis hin zu den Außenfassaden, alle Gebäudeteile sind betroffen. Die Stadt kommt in ihrer Bewertung zu dem Schluss, dass eine „Gefährdungsdichte erreicht worden war“, die in ihrer Summe „eine akute lebensbedrohliche Gefahrenlage auslöste, die kein weiteres Zuwarten zuließ“.
Diese Annahme bestätigt nach Einsicht in das städtische Dokument auch der wohnungspolitische Sprecher des Dortmunder Mietervereins, Dr. Tobias Scholz. „Die Nutzungsuntersagung bestätigt deutlich, dass hier wirklich Gefahr für Leib und Leben bestand.“ Deutlich werde, so Scholz weiter, dass sich Intown, der die Lütticher 49 Properties GmbH gehört, „sich weder mit dem Brandschutz noch mit der Genehmigungslage beschäftigt oder für sie interessiert hat“.
Die Lütticher 49 Properties GmbH hatte den Hannibal in Dorstfeld Ende 2011 bei einer Zwangsversteigerung für sieben Millionen Euro erworben. Zuvor war damals von einem Insolvenzverwalter ein Wertgutachten für den Hannibal II in Auftrag gegeben worden. In dem wurde der Wert der Immobilie mit 3,6 Millionen, der Sanierungsstau dafür mit 9,2 Millionen Euro beziffert worden.
Auch in diesem Gutachten war bereits auf potenzielle Brandschutzproblematiken hingewiesen worden, die zu prüfen seien. Scholz: „Die Probleme, die in der Nutzungsuntersagung benannt werden, gehen weit über das hinaus, was in dem für die Zwangsversteigerung 2011 erstellten Gutachten stand.“
Intown wollte sich am Freitag auf Anfrage nicht äußern, Ende Januar hatte das Unternehmen per Pressemitteilung mitgeteilt, dass „die Räumung des Gebäudes aus brandschutztechnischer Sicht unangemessen und rechtswidrig“ war und für die „Bewohner keine mittelbare oder unmittelbare Gefahr“ bestanden habe. In der Nutzungsuntersagung der Stadt liest sich das nicht ganz so harmlos.
So sind beispielsweise sämtliche Brandschutztore und -türen in der Tiefgarage defekt, Teile der Außenfassade brennbar, die Flure verbaut mit Waschmaschinen- und Technikräumen. In diesen Räumen vertikale Deckendurchbrüche ohne Brandschotts. Die Wohnungen mit Durchbrüchen in die Versorgungsschächte. Ohne Brandschotts. Und in den sogenannten Sicherheitstreppenhäusern, die an sich schon nicht funktionsfähig sind, Steigleitungen. Durch diese Steigleitungen wird im Bedarfsfall Löschwasser in die oberen Etagen gepumpt. Diese Steigleitungen sind nicht funktionsfähig.
Viele dieser Details waren bisher der Öffentlichkeit nicht bekannt. Laut Tobias Scholz hätte es „allen Beteiligten und speziell den Mietern geholfen, solche Dinge zu wissen, um zu verstehen, warum der Hannibal geschlossen werden musste“.
Während in der ersten Pressekonferenz zu dem bundesweit einzigartigen Vorgang der zuständige Krisenstabsleiter Ludger Wilde einige wenige Einzelheiten geschildert hatte, entschloss sich die Stadt wenige Tage später, sich nicht weiter zu äußern, da der Besitzer der Immobilie, die „Lütticher 49 Properties GmbH“ gegen die Räumung geklagt hatte. Da es sich seit der Klage um ein laufendes juristisches Verfahren handelt, zogen es beide Parteien vor, sich zu dem Vorgang nicht mehr zu äußern.
Auch zwei schriftliche Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz unserer Redaktion, eine Einsicht in die schriftliche Nutzungsuntersagung der Stadt zu bekommen, wurde von beiden Parteien kategorisch ausgeschlossen. Mit einer Veröffentlichung dieses Papiers würden, so die Argumentation, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der besitzenden Firma Lütticher 49 Properties GmbH berührt und so in Konsequenz die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig beeinflusst.