Bochum. Mit einem Offenen Brief hat das Bochumer Bündnis gegen Rechts auf vermeintliche Polizeigewalt reagiert. Nun gibt es eine Antwort aus Düsseldorf.
Mit Empörung hat das Bochumer „Bündnis gegen Rechts“ auf ein Schreiben von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) reagiert. Es ist eine Antwort auf einen Offenen Brief des Links-Bündnisses, das sich über vermeintlich aggressives und unverhältnismäßiges Eingreifen der Polizei bei Kundgebungen am 1. Mai und am 19. Juni in Bochum beschwert hatte. Die Ausführungen Jägers sind nach Ansicht von Bündnis-Sprecher Uli Borchers „eine Verdrehung der Tatsachen“.
Als Beispiel führt er unter anderem eine Formulierung an, mit der das Eingreifen der Polizei am 19. Juni begründet wird. Die Rede ist davon, dass „ein eingesetzter Polizeibeamter der Bereitschaftspolizei von einer unbeteiligten Person urplötzlich und überraschend von hinten derart massiv gewürgt wurde, dass er zu Boden ging.“ Der Polizeibeamte habe, so heißt es, eine Kehlkopfquetschung erlitten.
Keine vorsätzliche Körperverletzung
Beides sei nicht nachvollziehbar, so Borchers. Wissen können hätte das Innenministerium am 25. Oktober, als das Antwortschreiben verfasst wurde, dass die Strafanzeige gegen den vermeintlichen Angreifer von der Staatsanwaltschaft bereits im September eingestellt worden sei, da der Mann durch einem Rempler in Richtung des Polizisten gestoßen wurde und daher keine vorsätzliche Körperverletzung vorliege.
Davon habe auch die Bochumer Polizei gewusst. Der Leitende Polizeidirektor hatte in einem Schreiben vom 26. September an die Staatsanwaltschaft erklärt, mit der Einstellung des Verfahrens einverstanden zu sein.
Flüchtlinge fürchteten sich vor Polizei
Was die Verletzung des Polizisten betreffe, so der Bündnis-Sprecher, sei weder in dessen Anzeige noch in dem Bericht des Josef-Hospitals, in dem der Polizist noch am Tag der Verletzung untersucht wurde, von einer Kehlkopfquetschung die Rede. Der behandelnde Arzt schrieb in seinem Bericht, der Patient klage über ein Kratzgefühl und Schluckbeschwerden.
Unwahr seien die Ausführungen zur abgesagten Kundgebung der Bewegung „Refugees welcome“ am 19. Juni, die unmittelbar nach einer Kundgebung der Organisation Daskut ausgetragen werden sollte. Der Innenminister schreibt, die Versammlung sei abgesagt worden, weil der Versammlungsleiter den Eindruck gehabt habe, das von einigen Versammlungsteilnehmern Gewalt ausgehen könne. „Das ist erfunden“, sagt Martin Niggemann, eben jener Versammlungsleiter. Vielmehr hätten viele Demonstranten, vor allem Flüchtlinge, Angst vor der Präsenz und dem Verhalten der Polizei geäußert. Das sei der Grund für seine Absage gewesen.
Zeitliche Überschneidung könne vorkommen
Niggemann wie auch Borchers beklagen nun, dass das Innenministerium lediglich eine Stellungnahme bei der Bochumer Polizei erfragt habe. Das sei die gängige Praxis, so ein Ministeriumssprecher dazu auf Anfrage der WAZ. Dass dabei Fakten unberücksichtigt blieben, die seit knapp einem Monat bekannt waren, begründet er mit einer „zeitlichen Überschneidung“, die beim Austausch von Informationen vorkommen könne.
Strafverfahren eingestellt
„Aber das reicht doch nicht“, empört sich Uli Borchers. Es hätte nicht nur eine Stellungnahme abgefragt werden dürfen. „Es muss doch auch geprüft werden, wie die Vorgänge wirklich waren.“
Diese Aufgabe indes sieht der Ministeriumssprecher bei der Staatsanwaltschaft. „Das ist die unabhängige Stelle, die die Vorgänge bewertet.“ Fakt ist. Von den zahlreichen Strafanzeigen, die zu den Ereignissen am 19. Juni gestellt wurden, wurden die gegen den vermeintlichen Auslöser des Polizeieinsatzes, einen unbescholtenen, 61-jährigen Bochumer, ebenso eingestellt wie die gegen zwei Polizisten.
Kommentar: Augenmaß von allen Seiten
In Sonntagsreden wird gerne bürgerschaftliches Engagement gelobt – gerade gegen Rechts. Tags darauf wird das Lob aber oft auch wieder vergessen. Das, so Uli Borchers, bereite dem Bündnis gegen Rechts angesichts anstehender politischer Auseinandersetzungen im Wahljahr 2017 Sorgen. Wie sollen die Zivilgesellschaft und vor allem junge Menschen, die vielleicht zum ersten Mal an einer Demonstration teilnehmen wollen, zum Kommen motiviert werden, wenn sie den Ausbruch von Gewalt fürchten müssen?
Borchers Sorgen sind nachvollziehbar. Tatsächlich wirkte das überraschend große Polizeiaufgebot am 19. Juni zwischen Husemannplatz und Dr.-Ruer-Platz überzogen angesichts von einem Dutzend Daskut-Anhängern und einigen Dutzend Gegendemonstranten. Möglicherweise fühlte sich der eine oder andere Demonstrant auch provoziert.
Allerdings: Da wo gegen Rechts demonstriert wird, sind oftmals eben nicht nur aufrechte Demokraten, Pazifisten und junge Menschen mit hehren Absichten, aber ohne Demo-Erfahrung unterwegs, sondern immer wieder auch Krawallmacher und Provokateure, die Polizeipräsenz erforderlich machen.
Augenmaß? Unbedingt. Aber eben von allen Seiten!
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