Bochum. „Evangelische Kirche im Entscheidungsjahr 1933/34: Der Weg nach Barmen“ heißt das neueste Buch von Professor Dr. Günter Brakelmann.
Die Deutschen Christen waren im nationalsozialistischen System die bösen Evangelischen, in der Bekennenden Kirche befanden sich die guten Protestanten und die Barmer Theologische Erklärung von 1934, auch Barmer Bekenntnis genannt, ist ein Dokument des Widerstandes gegen Hitler: Diese Ansichten über den Protestantismus im sogenannten Dritten Reich sind weit verbreitet. In seinem neuen Buch warnt der Bochumer Günter Brakelmann allerdings vor der Glorifizierung der Barmer Erklärung. Sie könne nicht in rechtfertigender Absicht in die deutsche Widerstandsgeschichte eingereiht werden.
Im Buch „Evangelische Kirche im Entscheidungsjahr 1933/34: Der Weg nach Barmen“ zeichnet der emeritierte Professor für Christliche Gesellschaftslehre und Zeitgeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität den Weg der Bekennenden Kirche nach Barmen nach - historisch-kritisch und theologisch-kritisch anhand zahlreicher Dokumente und Veröffentlichungen. Das 395 Seiten starke Werk ist als Band 5 der Schriftenreihe „Zeitansage“ des Evangelischen Forums Westfalen und der Evangelischen Stadtakademie Bochum erschienen. Als Lese- und Arbeitsbuch will es zur eigenen Weiterarbeit einladen. Die Studie wurde durch ein Seminar in der Ev. Stadtakademie Bochum angeregt.
Folgerichtig wurde das Buch in diesen Tagen auch dort vorgestellt - von Akademieleiter Pfarrer Arno Lohmann und Prof. Dr. Traugott Jähnichen. Lohmann würdigte es als Brakelmanns Verdienst, die Barmer Theologische Erklärung in den zeitgeschichtlichen Kontext gestellt zu haben - mit ernüchternden Ergebnissen, die vor allzu euphorischen Bewertungen bewahrten. Der Protestantismus habe zum politischen Wahlsieg der Rechten und der Nationalsozialisten einen entscheidenden Beitrag geleistet. Vor diesem Hintergrund sei die Barmer Erklärung zu würdigen. Der Kirchenkampf habe der Rettung der Freiheit der Kirche gedient, das zeige Brakelmanns Buch. Es sei nicht um ein Nein zum totalitären Staat selbst gegangen. Lohmann: „Es war ein Bekenntnis mit begrenzter Reichweite.“
Professor Dr. Traugott Jähnichen, Schüler und Lehrstuhl-Nachfolger von Günter Brakelmann, stellte ebenfalls heraus, dass dieser eine „sehr starke und weitgehende Kritik“ an der Barmer Erklärung übe, „die in dieser Form“ im theologischen Bereich einmalig sei. Trotzdem wollte er Brakelmanns Ergebnisse kritisch hinterfragen, sich „in Anfragen nähern“, dabei mehr von möglichen Intentionen des Erklärungstextes ausgehend. Hatte Barmen wirklich nur binnenkirchliche Wirkung? War es vielleicht doch etwas mehr als der Kampf für ein staatsfreies Ghetto? Wurde nicht zumindest nach innen einem totalen Staat eine ganz klare Absage erteilt? Das waren einige der Fragen Jähnichens, der zugleich bekannte, durch das Werk „sehr, sehr viel gelernt zu haben“.
Der Autor selbst betonte am Vorstellungsabend im vollbesetzten Saal der Ev. Stadtakademie an der Klinikstraße, dass er nicht urteilen, aber auch keine Fakten verschweigen wolle, nur um die „schöne Glorifizierung“ nicht zu beschädigen. Bis auf eine sehr kleine Minderheit hätten die Protestanten - auch schon vor Hitler - den „munteren Kampf gegen Demokratie“ mitgemacht. Brakelmann: „Gegen die „Vergewaltigung der Demokratie hat meine Kirche nichts gesagt. Da könnte ich Tränen in die Augen kriegen.“
Das Buch ist im Lit-Verlag erschienen; 49,90 Euro. ISBN 978-3-643-10686-5
Auszüge aus „Zusammenfassendes Fazit“
„Die Bekennende Kirche, 1933/34 eine Oppositionsbewegung in der DEK (Deutsche Evangelische Kirche) gegen binnenkirchliche Häresien, die mit der Religions- und Kirchenpolitik der NSDAP und der staatlichen Ordnungspolitik in größter Übereinstimmung standen, hat verhindert, die Kontinuität eines vom Staatswillen unabhängigen Kirchentums aufzugeben. Sie hat dem weltanschaulichen und staatlichen Totalitätsanspruch widerstanden. Das dürfte eine große kirchengeschichtliche Leistung im Kontext der nationalen politischen Geschichte gewesen sein. Für Gemeinden und einzelne Christen wurde die BK zu einem Bollwerk der Verweigerung, sich nach Leib, Seele und Geist zu einem geschlossenen politisch-weltanschaulichen Großsystem bestimmen zu lassen. Die BK hat für die eigene Glaubens- und Gewissensfreiheit gekämpft, gelitten und Opfer gebracht. (....) Was die BK und ihre Glieder an einem weitergehenden Einsatz auch für die persönliche und politische Freiheit der deutschen Staatsbürger gehindert hat, ist die Tatsache, dass sie mehrheitlich der Zerschlagung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates der Weimarer Republik durch die ‘nationale Revolution’ zugestimmt und diese ‘Wende’ als gnädiges Gerichtshandeln Gottes am deutschen Volk interpretiert hat. In ihrem ‘Kirchenkampf’ ging es nach ihrem eigenen immer wieder bezeugten Selbstverständnis um die Rettung der Freiheit der Kirche im neuen System. Nicht ging es ihr um die personalen Freiheiten des Staatsbürgers vor einem totalen Staat. Es war eine Widerständigkeit für die Möglichkeit einer freien Kirche im neuen Ordnungs- und Rechtssystem eines (...) immer totalitärer werdenden Gesamtsystems.“
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