Berlin. Krieg ist keine Militär-Operation. Er schlägt Wunden für Jahrzehnte. Warum es wichtig ist, die Geschichten der Menschen zu erzählen.
Als Außenministerin Annalena Baerbock in Butscha nahe Kiew war, jener Kleinstadt, in der mehr als 400 Zivilisten durch den russischen Angriffskrieg zu Tode gekommen sind, da hat sie gesagt: „Diese Opfer könnten wir sein“. Es war ein bemerkenswerter Satz, der in seiner schlichten Klarheit den Krieg aus dem Bereich der militärischen und politischen Abstraktion herauslöste und auf die persönliche, auf die menschliche Ebene brachte.
Bislang, so schätzt es die Nachrichtenagentur Reuters, sind in dem Krieg in der Ukraine über 45.000 Menschen getötet worden. 14 Millionen sind geflohen, innerhalb des Landes oder ins Ausland. Das sind die nackten Zahlen. Hinter jeder Zahl steckt ein Schicksal.
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Ukraine-Krieg: Die Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz
Jeder Krieg löst unermessliches Leid aus. Jeder Krieg reißt Menschen von einem auf den anderen Moment brutal aus ihrer Lebenswirklichkeit heraus und wirft sie in eine Welt des Grauens, in der es keine Gewissheiten mehr gibt. In der Ukraine begegnet man in diesen Tagen so vielen Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, die aus ihren zerstörten Wohnungen die wenigen verbliebenen Habseligkeiten holen, die an den Gräbern ihrer Lieben um Fassung ringen.
Es sind Menschen, die vor dem Krieg ein normales Leben geführt haben. Familie, Arbeit, Freunde. Sie haben sich vor dem Krieg Gedanken darüber gemacht, welche Schule gut für ihre Kinder ist, wo es Sonderangebote im Supermarkt gibt, in welchen Kinofilm sie am Wochenende gehen. Jetzt sind die Schulen und Supermärkte und Kinos in vielen Städten nur noch Ruinen. Familien sind auseinandergerissen, Angestellte tragen jetzt Waffen, Freunde liegen unter den frisch aufgeworfenen Grabhügeln. Lesen Sie auch: Mariupol: Aufnahmen zeigen Leben im Asow-Stahlwerk
Es ist wichtig, die Geschichten dieser Menschen zu erzählen. Krieg darf nicht als etwas Abstraktes wahrgenommen werden, als eine kühle Darstellung von militärischen Operationen oder von politischen Prozessen. Die Schicksale der Opfer müssen denjenigen bewusst sein, die über Krieg und Frieden entscheiden, und über Waffenlieferungen und Aufrüstung. Nicht zuletzt müssen diese Geschichten erzählt werden, weil die Opfer es selbst wollen. Es ist ihnen ein innerstes Bedürfnis über das zu reden, was ihnen und ihren Liebsten widerfahren ist. Sie wollen, dass die Welt erfährt, was der Kriegsverbrecher Putin ihnen und ihrem Land angetan hat.
„Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen“
Es ist erstaunlich, wie groß trotz allem der Durchhaltewille der Menschen ist, denen man begegnet. Sie wollen nicht, dass Putin gewinnt. Sie bitten um Unterstützung.
Dieser Krieg wird sich, wie jeder andere Krieg, tief in die Seelen der Menschen einbrennen, die ihn erleiden mussten. Wie schwer diese seelischen Verwundungen sind, zeigt sich bei den Älteren in Deutschland, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Viele von ihnen sitzen seit dem Beginn der russischen Invasion verängstigt vor dem Fernseher, sie sehen die zerbombten Städte in der Ukraine, hören das durch Mark und Bein gehende Heulen des Luftalarms und sie erinnern sich an die bangen Stunden in den Luftschutzkellern, die sie vor 80 Jahren selbst durchlitten haben.
Vom Schriftsteller George Santayana stammt der Satz: „Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen.“ Das trifft es genau.
Derzeit spricht wenig für einen raschen Waffenstillstand oder gar einen Friedensschluss in der Ukraine. Doch selbst wenn die Waffen irgendwann schweigen sollten, werden die Folgen dieses Krieges noch lange zu spüren sein. Der Wiederaufbau der Städte und Dörfer wird Jahre brauchen. Die Opfer werden die Erinnerungen bis an ihr Lebensende mit sich tragen.
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