Berlin Dritte Woche im Ukraine-Krieg: Die Analyse der Lage zeigt, dass Russlands Präsident Putin seinen Zielen kaum näher gekommen ist.
In der dritten Kriegswoche ist die Lage der Ukraine unverändert verzweifelt. Einen Blitzsieg können die Russen nicht mehr erzielen. Die Invasion geht indes weiter – zäh wie ein Lavastrom. Eine Analyse.
Teile der Hafenstadt Mariupol sind an die Angreifer gefallen. Vororte von Kiew werden massiv bombardiert. Im Nordosten: Raketenangriffe. Vom Südwesten nähern sich nach britischen Erkenntnissen weitere Einheiten.
"Was die Russen in Mariupol machen, könnte ein Beispiel dafür sein, wie sie in Charkiw und Kiew vorgehen wollen: Einkesseln, aushungern, wahllos bomben", sagt der frühere Generalleutnant a.D. des Heeres, Heinrich Brauß unserer Redaktion. "Für mich ist dies Kriegsführung des letzten Jahrhunderts.“
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Wer mit Wehrexperten spricht, hört die Verwunderung heraus: Über Führungsversagen, schlechte Logistik, fragwürdige Prioritätensetzung. Aus militärischer Sicht kann Brauß nach eigenen Worten nicht erkennen, "wo die russische Armee ihren operativen Schwerpunkt setzt. Ist es Kiew im Norden, der Osten um Charkiw, der Donbass im Südosten oder der Süden von der Krim aus, wo die russische Armee größere Geländegewinne verzeichnet?"
Analyse der Lage: Mit aller Macht gegen die Städte
Die Invasion begann vor 17 Tagen mit einem Aufmarsch in einer großen Umfassung: Vom Norden über Belarus, vom Osten, vom Süden über die Krim. Es schien, als wollten die Russen konzentrisch gegen den Gegner vorgehen.
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Das hätte der Ukraine Probleme bereitet: Ihre Truppen wären im großen Halbkreis auseinandergezogen worden. Es ist schwierig, überall zu sein oder Kräfte schnell genug zu verlagern.
Analyse der Mittel: "Terror im Krieg"
Es wäre das Lehrbuch-Szenario gewesen, das viele erwartet hatten: Einen Gegner durch schnelle raumgreifende Bewegungen auszuschalten.
Wobei "ausschalten" nicht Vernichtung heißt. Es geht darum, einen Gegner einzuschließen, seine Versorgung zu kappen, damit er aufgibt. "Diese Art intelligenter Operationsführung sehe ich nicht", sagt Bundeswehrgeneral Brauß, "offensichtlich sind die Russen dazu nicht in der Lage.“
Die russischen Generäle gingen im Ukraine-Krieg anders vor. Sie sind mit Macht gegen Kiew, Charkiw und andere Städte vorgegangen. "Die Menschen in Mariupol im Süden müssen seit Tagen entsetzlich leiden."
Dort findet eine Vernichtungsoperation wie in Tschetschenien und Syrien statt, "eine Art von Terror gegen die Bevölkerung", beklagt Brauß. "Terror im Krieg. Das kennen wir aus Grosny und Aleppo."
Analyse der Ziele: Putin hat sie verfehlt
Sein Eindruck ist, dass die militärische Führung die "falschen Prioritäten" gesetzt hat. "Ich sehe nicht, dass Präsident Wladimir Putin seinen Kriegszielen signifikant nähergekommen ist.“
Nun droht der Sturm auf Kiew. "Das bedeutet, dass Putin seine Kräfte in den Straßen- und Häuserkampf schickt. Jeder weiß aber: Für mechanisierte Verbände ist das tödlich." Sollte er Kiew einnehmen, so Brauß, "wird er es mit einem blutigen Partisanen- und Guerilla-Krieg zu tun haben."
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Denn: Die Verteidiger kennen ihre Stadt genau, alle Wege, das U-Bahnnetz, das Kanalsystem, die Versorgungswege. "Sie werden die Russen aus allen Kanaldeckeln und Kellern heraus beschießen", sagt Brauß voraus. "Das zermürbt eine Armee und ihre Moral."
Militärvergleich: Russen und Ukrainer
Das strategische Ziel, die Ukraine zu entwaffnen, zu demilitarisieren, hat Russlands Präsident Wladimir Putin nicht erreicht; ebenso wenig die wohl oberste Priorität, die Enthauptung der Ukraine, das Ausschalten der Verwaltung und Versorgung. "Das steckt vermutlich hinter den Angriffen auf die großen Städte, vor allem auf Kiew und Charkiw", analysiert Brauß. "Dem liegt wohl die Annahme zugrunde, dass die militärische Verteidigung in sich zusammenfällt, wenn man die Hauptstadt, das Herz des Landes, erobert hat.“
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Und nun? Droht Russland das totale Scheitern? „Da wäre ich mit dem Urteil vorsichtig“, antwortet Brauß. Da ist der Faktor Zeit. Die "Operation Desert Storm" zur Befreiung Kuwaits hat Anfang 1991 fast sieben Wochen gedauert, 77 Tage die Bombardierung Belgrads 1999. Zwei Monate brauchten die GIs 2001 in Afghanistan, bis die letzte Taliban-Hochburg gefallen war.
Putin hat Zeit und Soldaten. Bislang halten die Russen ihre modernsten Waffen zurück. Im Süden kommen seine Truppen voran. Die Verbindung zwischen dem Donbass und der Krim ist hergestellt. Wenn Russland Odessa einnimmt, droht der Ukraine im Süden die Strangulierung. Dann verliert sie ihren Zugang zum Schwarzen Meer und wird die Versorgung von aus See vollends gekappt.
Furchtbare Aussichten
Die ukrainische Armee verhält sich taktisch geschickt und wird aus dem Westen mit Waffen und Geheimdienst-Informationen versorgt. Selbst, wenn die Ukraine besetzt werden sollte, wäre die Folge nicht unbedingt die totale Kontrolle. Das ist mit Putins Invasionsarmee kaum zu schaffen. Dafür ist das Land zu groß.
Wenn man die Invasion als Phase 1 und eine Eroberung als Phase 2 betrachtet, wäre Phase 3 die schlimmste von allen für die Russen: Das Guerilla-Szenario, ein schier endloser Zermürbungskrieg.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de
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