Berlin. Der amtierende US-Präsident hat angekündigt, sich für eine zweite Amtszeit zu bewerben. Nicht alle Demokraten sind glücklich darüber.
Eine kurze, prägnante Video-Botschaft kurz nach Morgengrauen. Gegen Wochenende dann ein Treffen mit 100 reichen Wahlkampfspendern. Später eine echte Kick-Off-Rede. Gut eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl hat Amtsinhaber Joe Biden am Dienstagmorgen um 6 Uhr US-Ostküsten-Zeit offiziell gemacht, was er und sein Umfeld seit Monaten immer wieder angedeutet haben. Der mit 80 Jahren älteste Präsident, den die USA je hatten, strebt – obwohl eine stabile Wähler-Mehrheit dagegen ist – ab Januar 2025 eine zweite Amtszeit an.
Der Kampf um die „Seele der Nation” sei noch nicht gewonnen, sagte er in einer bilderreichen Präsentation. Jede Generation habe einen Moment, in dem sie für die Demokratie und die Freiheit einstehen müsse. „Ich glaube, dies ist unserer”, erklärte Biden und sendete die Botschaft, er sei mit dem Umbau und der Ertüchtigung des Landes noch nicht fertig. Darum die Bitte um eine Verlängerung: „Lasst uns die Arbeit zu Ende bringen.” Unterschwellig klang dabei ein Dauer-Warnton mit: Auf der anderen Straßenseite lauert wieder Donald Trump. Und den könne nur einer in Schach halten: Joe Biden.
Joe Biden: Er würde regieren, bis er 86 Jahre alt ist
Dabei stehe immens viel auf dem Spiel. „Maga-Extrenisten”, so nennt Biden seit Langem die Wortführer der Trump'schen „Make America Great Again”-Ideologie, stünden Schlange, um Amerika essentielle Freiheiten wegzunehmen. So soll die soziale Absicherung (social security) gekürzt und Reichen die Steuer gesenkt werden. Frauen würde (Stichwort Abtreibung) diktiert, welche Entscheidungen sie über ihren Körper treffen dürfen. Dazu Bücher-Verbannungen, Repressalien gegen Homosexuelle und Erschwernisse beim Wahlrecht.
Im Erlebensfall wäre der die Schleifspuren des Alterns täglich mehr dokumentierende Demokrat aus Delaware bei Auszug aus dem Weißen Haus im Januar 2029 methusalemartige 86. Und damit etwa zehn Jahre älter als Leonid Breschnew, der als ältester Machthaber der Sowjetunion in die Geschichte einging.
Wie passt das zusammen mit Bidens Ansage von vor vier Jahren, er werde als Übergangskandidat Trump verhindern – und dann den Weg ebnen für eine Generation jüngerer demokratischer Führungsfiguren?
Joe Biden: Das hat der Präsident bislang erreicht
Da ist zunächst Bidens Bilanz. Sie ist besser, als es die miserablen Beliebtheitswerte widerspiegeln. Nur um die 42 Prozent sind mit ihm zufrieden, 53 Prozent nicht. Biden bekam die Corona-Pandemie in den Griff. Die gigantische Inflation sinkt beständig. Der Arbeitsmarkt brummt. Zehn Millionen neue Jobs entstanden. Dazu die zwar abgespeckten aber immer noch dreistelligen Milliardeninvestitionen in Infrastruktur, grünes Wirtschaften von E-Mobilität bis Wind-Energie und Chip-Halbleiter-Industrie. Sein Eintreten für gesellschaftspolitische Errungenschaften wie das grundsätzliche Recht auf Abtreibung ist mehrheitsfähig.
Dass mit Ketanji Brown Jackson zum ersten Mal eine Afro-Amerikanerin am höchsten Gericht Recht spricht, ist eine Personalie für die Geschichtsbücher. Auch sein bislang beständiger Kurs im Krieg Russlands gegen die Ukraine findet breite internationale Zustimmung. North Carolinas Gouverneur Roy Cooper, ein gemäßigter Demokrat, sagt es anerkennend so: „Joe Biden hat in zwei Jahren erreicht, was andere Präsidenten hoffen würden, dass sie es in acht hinkriegen.” Er empfindet Biden als Präsident des Wandels, nicht des schnellen Übergangs.
US-Demokraten: Kaum Konkurrenz in der eigenen Partei
Umfragen legen dem tiefgläubigen Katholiken trotzdem konstant nahe: Lass es, bitte. Lass andere ran. Vor allem in wichtigen Wählergruppen wie Afro-Amerikanern und Parteiunabhängigen ist die Begeisterung für Biden im Vergleich zu 2020 deutlich erlahmt. Aber niemand aus der zweiten Reihe der Demokraten – vom jungen Transportminister Pete Buttigigieg bis zu Gouverneur-Talenten wie Gretchen Whitmer oder Gavin Newsom – lässt Ambitionen oder Format erkennen.
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Das liegt auch an der Macht des Amtsinhabers. Biden hat die Netzwerke, die öffentlichen Plattformen und die Medienscheinwerfer für sich. Zwei randständige demokratische Gegen-Kandidaten für die Vorwahlen ab Januar 2024, Robert F. Kennedy und Marianne Williamson, taugen nur als Staffage.
Biden vs. Trump: Kommt es zur Neuauflage des Duells?
Die Plausibilität für einen zweiten Anlauf Bidens, so sagen es seine Berater, hat viel mit Donald Trump zu tun. 2020 lag Biden sieben Millionen Stimmen vor dem Rechtspopulisten. Würde der 45. Präsident, wonach es im Moment trotz etlicher strafrechtlicher Verstrickungen aussieht, auch der republikanische Kandidat für die 47. Ausgabe, gehen Demokraten und manche Meinungsforscher vom Wiederholungsfall aus.
Um das „personifizierte Chaos” zu verhindern, könnte sich Amerika, wenn auch unter Stöhnen und Zähneknirschen, wieder hinter Biden versammeln, sagt der Historiker Douglas Brinkley.
Aber was, wenn Ron DeSantis beim internen Schönheitswettbewerb der Konservativen obsiegt und sich bis November 2024 die radikalen Ecken abschleift? Mit 44 Jahren stünde er für Aufbruch und Erneuerung. Umfragen legen nahe, dass Floridas Gouverneur dann die Nase vorn haben könnte. Auf das Szenario, wie Biden auf der Debatten-Bühne gegen einen halb so alten Sturm-und-Drang-Politiker bestehen soll, haben die Demokraten bisher noch keine Antwort.
Kamala Harris: Bleibt sie US-Vize-Präsidentin?
Dass Biden in die Verlängerung will, lenkt den Blick noch stärker als 2020 auf seine Nr. 2. Vize-Präsidentin Kamala Harris würde nach den Bestimmungen der Verfassung sofort aufrücken, sollte Biden etwas zustoßen. Hier haben die Republikaner eine potenzielle „Brechstange" in der Hand, finden Analysten. Die 58-Jährige, als erste Afro-Amerikanerin im Spitzenamt mit übermenschlichen Erwartungen überfrachtet worden, rangiert beim Volk noch unter den miesen Zahlen Bidens. Teil selbst verschuldet, weil Grabenkämpfe in ihrem engsten Umfeld früh in die Öffentlichkeit drangen und das Bild von einer kapriziösen Diva entstand. Teils von außen beeinflusst, weil Harris mit Dossiers wie dem ewigen Problem der illegalen Einwanderung an der Grenze zu Mexiko betraut wurde, mit dem politisch kein Blumentopf zu gewinnen ist.
Harris hat nie wirklich ihre Rolle gefunden. Bis in die demokratische Kernwählerschaft herrschen Zweifel, ob die Kalifornierin es wirklich kann. Dennoch spricht derzeit nichts dafür, dass Biden sein „Ticket” umtauscht. Auf die Schnelle eine andere Frau zu finden, die Schwarze und Latino-Minderheiten anspricht, erscheint illusorisch.
Zuletzt ließ Biden seine Stellvertreterin häufiger glänzen. Bei wichtigen Reden, etwa der bei der Münchner Sicherheitskonferenz, nach der Entscheidung des Obersten Gerichts in der Abtreibungsfrage oder erst vor wenigen Wochen während ihrer großen Afrika-Reise, schimmerte etwas von der kämpferischen Rhetorik durch, mit der Harris im Wahlkampf 2020 aufgefallen war. Die jüngsten Waffengewalt-Tragödien, bei denen überproportional Schwarze und Vertreter anderer Minderheiten betroffen waren, ließen sie aus tiefstem Herzen für ein Einlenken der Republikaner werben, die sich Verschärfungen der Waffengesetzte chronisch entgegenstellen.
Kamala Harris – die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten? Das Thema ist noch nicht erledigt. Vorausgesetzt natürlich, Joe Biden gewinnt die Wahl.
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