Berlin Wer vertritt die Interessen der jungen Wähler? Die ARD will Politikern mit neuem Format auf den Zahn fühlen – und verheddert sich.
Bloß keine vertrauten Gesichter. Nicht Anne Will, Frank Plasberg oder Sandra Maischberger, das Establishment. Die bekannten Polittalk-Moderatorinnen und -Moderatoren, die die ARD zu bieten hat, passen nicht zu einer Sendung, in der die Generation der unter 30-Jährigen endlich mal im Mittelpunkt stehen soll.
Hippes, lässiges Auftreten ist gefragt. Und so verwunderte es nicht, dass Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni, 43, die Zuschauer am Montagabend um 23 Uhr zu „Überzeugt uns! Der Politikercheck“ begrüßte. An seiner Seite: Ronja von Rönne, 25, „Welt“-Journalistin, Autorin und Bloggerin. Mehr Jugend geht nicht.
Das Vorhaben scheiterte kläglich
Sieben Politiker hatte die ARD in die Berliner Kulturbrauerei geladen, um live mit ihnen über die Probleme der Jungwähler zu diskutieren – ein ambitioniertes Vorhaben, das leider krachend scheiterte.
Zamperoni, Dreitagebart, keine Krawatte, und von Rönne im schwarzen Hipster-Kleid passten sich zwar optisch ihrer Zielgruppe an, doch inhaltlich wirkte vieles eben doch gezwungen. Die „Welt“-Autorin witzelte, dass die Aufmerksamkeitsspanne ihrer Generation, der Generation Y, nur so lang sei wie ein Katzen-Gif. Oder dass sich die Generation Y ständig auf der Dating-App Tinder enttäuschen lasse. Lustig? Geht so.
Das waren die Gäste
90 Minuten hatte die ARD eingeplant, um die großen Themen wie Gerechtigkeit, Migration aber auch Drogenfreigabe mit den Politikern zu besprechen. Für die Regierungsparteien saßen Jens Spahn (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Ralf Stegner (SPD) am Tisch, die FDP schickte Katja Suding, die Grünen Cem Özdemir und Linke und AfD waren durch Katja Kipping und Alexander Gauland vertreten.
Die AfD als Partei der kleinen Leute?
Beim Thema Gerechtigkeit wiederholten die Politiker das, was man schon in unzähligen Talkshows gehört hat. CDU und FDP betonen wirtschaftliche Effizienz, das linke Lager wünscht sich mehr Umverteilung.
Überraschende Töne hingegen von AfD-Mann Gauland: Der Spitzenkandidat wetterte gegen Zeitarbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse, beim Thema explodierende Mieten in den Ballungsräumen sprach er gar von Marktversagen – dabei teilt sich Gauland die Spitzenkandidatur mit Alice Weidel, einer Ökonomin, die für eine neoliberale Wirtschaftspolitik steht. Schade, dass die Moderatoren Gauland auf diesen Widerspruch nicht aufmerksam machten.
Oktoberfest eine Parallelgesellschaft?
Ronja von Rönne setzte lieber auf flache Witze, etwa als sie den AfD-Politiker nach dem Einspieler einer Multikulti-Fußballmannschaft danach fragte, ob er sich vorstellen könne, da mitzuspielen – rechts außen zum Beispiel. Oder ob er gegen die Cannabis-Legalisierung kämpfe, weil die Droge nicht deutsch genug sei.
Auch beim Thema Migration wenig Neues: Bundesverkehrsminister Dobrindt sagte, dass Integration nichts mit dem Pass zu tun habe, trotzdem halte er den Doppelpass für schwierig. Und auf Parallelgesellschaften angesprochen, behauptete Linken-Chefin Katja Kipping allen Ernstes, dass auch das Oktoberfest oder das Techno-Festival Fusion Parallelgesellschaften seien – ganz so, als ob das der sozialen Realität in Duisburg-Marxloh oder Berlin-Neukölln gerecht werde.
Die ARD will Orientierung schaffen – und stiftet Verwirrung
Ein klassisches Talk-Problem: Alle Gäste reden durcheinander, und es ist in der Kürze der Zeit oft nicht möglich, einen komplexen Gedanken zu entwickeln. Nachdem Jens Spahn zum wiederholten Male unterbrochen wurde, um sich kürzer zu fassen, platze ihm der Kragen. „Ihr könnt nicht 1000 Themen in 90 Minuten pressen – ich weiß eh nicht, wer sich diese Sendezeit ausgedacht hat“, giftete er. Und brachte damit gleichzeitig das Dilemma der Sendung auf den Punkt.
Ein Politik-Talk, der der jungen Generation Orientierung verschaffen soll, wird von der ARD auf den Sendeplatz um 23 Uhr geschoben. Im Schnelldurchlauf werden Themen abgerissen, die – etwa Migration und Flucht – so komplex sind, dass man sie nicht in fünf Minuten abhandeln kann. Das schafft nur eines: Verwirrung.
Es sollte vor allem schnell gehen
Doch die Sendung war auf Schnelligkeit getrimmt: Im sogenannten Speed-Dating gaben die Moderatoren den Politikern einen Halbsatz vor, den diese in 15 Sekunden vollenden sollten. Auch die Fragen, die die Zuschauer per Facebook stellen konnten, waren vor allem eines: kurz und knapp.
Am Ende zeigt sich Potential
Erst ganz am Ende, als es um die Drogenpolitik ging, zeigte die Sendung, welches Potential sie gehabt hätte. Moderatorin von Rönne ließ den konservativen Gästen die Gleichung Alkohol = nicht so schlimm, Cannabis = ganz böse, nicht durchgehen. Die Zahl der Alkoholtoten spreche eine deutliche Sprache. CSU-Mann Dobrindt, der kein gutes Argument hatte, blieb nichts anderes übrig als zu sagen: „Alkohol konsumieren und Kiffen haben eine andere Dimension“. Basta, Aus, Ende.
Schade, dass es dem Moderatoren-Duo nicht öfter gelungen ist, ihre Gäste so alt aussehen zu lassen.
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