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Syrische Flüchtlinge beziehen oft Hartz IV - das hat Gründe

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Hartz-IV -Sanktionen: So hart geht der Staat gegen Arbeitslose vor

Hartz-IV -Sanktionen- So hart geht der Staat gegen Arbeitslose vor

Hartz IV: Alles, was man über die Sanktionen beim Arbeitslosengeld II wissen muss.

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Berlin.  Flüchtlinge aus Syrien sind oft auf Hartz IV angewiesen. Das hat viele Gründe: Die Jobcenter-Statistik vermittelt ein verzerrtes Bild.

Sie sind gut ausgebildet, haben häufig auch einen höheren Bildungsstand - und dennoch sind viele syrische Flüchtlinge auf Hartz IV angewiesen. Und wenn die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung anhält, könnte sich das Problem noch verschärfen, wie Forscher warnen.

Panu Poutvaara, Leiter des ifo Zentrums für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung, sagte, Deutschland müsse in Zeiten einer drohenden Rezession noch mehr tun, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Schon jetzt zeigt eine Jobcenter-Statistik, dass vor allem Syrer auf dem Arbeitsmarkt. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielseitig. Viele Syrer haben sogar einen Job. Dabei verdienen sie aber so wenig, dass sie ihren Lohn häufig mit Grundsicherung aufstocken müssen.

Wie aus Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervorgeht, lag die Arbeitslosenquote für syrische Staatsbürger demnach im Juni dieses Jahres bei 44,2 Prozent, Tendenz leicht sinkend. Ein Jahr zuvor waren es noch 49,6 Prozent. Wer einen Integrationskurs oder einen Berufssprachkurs besucht, wird nicht als Arbeitsloser gezählt, sondern als „Unterbeschäftigter“. Hartz IV erhält auch, wer so wenig verdient, dass er seinen Lebensunterhalt davon nicht allein bestreiten kann.

Die Zahlen zeigen noch mehr: Dreiviertel der Syrer, deren Asylverfahren in Deutschland abgeschlossen ist, bekommen Hartz IV – trotz Anstrengungen, möglichst viele in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Genau genommen gehören 74,9 Prozent der Menschen aus dem Land zu den Empfängern der Hilfszahlungen in Deutschland.

Hartz IV für Flüchtlinge – Das Wichtigste in Kürze:

  • Viele syrische Flüchtlinge beziehen Hartz IV
  • Sie sind nach den Deutschen die größten Beziehergruppe
  • Das verwundert, denn viele Syrer sind gut ausgebildet
  • Die Gründe für die Entwicklung sind vielseitig
  • Eine Rezession könnte diese Entwicklung noch verschärfen
  • Die Arbeitslosenquote von Syrern ist leicht gesunken im Vergleich zum Vorjahr

Zum Vergleich: Laut dem „Mediendienst Integration“ sind 93,5 Prozent der Erwerbsfähigen mit Migrationshintergrund in einem Job. In der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in Deutschland erhalten Schutzsuchende auch Geld vom Staat - aber nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Da die Asylverfahren für Syrer im Schnitt schneller beendet sind als bei Menschen aus Staaten mit niedrigeren Anerkennungsquoten, landen sie auch schneller im System der Grundsicherung.

Jobcenter-Statistik vermittelt verzerrtes Bild

Die Jobcenter-Statistik könnte also den Eindruck vermitteln, dass der Großteil der Syrer in Deutschland nicht arbeiten wollen würde – doch das stimmt nicht: Häufig gehen sie arbeiten, bekommen aber so wenig Lohn, dass sie mit Hartz IV aufstocken müssen, wie die Nachrichtenagentur dpa herausgefunden hat. Auch interessant: Zahl der Hartz-IV-Aufstocker durch den Mindestlohn kaum gesunken.

Wie kommt die Entwicklung zustande?

Offensichtlich haben Flüchtlinge aus Syrien ein Problem, im Arbeitsmarkt anzukommen und dort integriert zu werden. Woran das liegen könnte? Die kürzeren Asylverfahren bei Syrern nutzen sie häufig dazu, eine Sprache zu lernen, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie schreibt.

Und es gibt einen weiteren Unterschied zu Flüchtlingen aus anderen Ländern: Da sie häufig eine längere Bleibeperspektive als andere Flüchtlinge haben, seien sie nicht dazu gezwungen, sich ihre Bleibeperspektive mit einem Job aufzubessern, wie Panu Poutvaara erklärt.

Jobcenter schickt Hartz-IV-Empfänger auf den Campingplatz
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Poutvaara, der als Experte dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) angehört, wies darauf hin, dass Menschen mit schlechter Bleibeperspektive häufiger versuchten, über Arbeit oder die sogenannte Ausbildungsduldung ihren Aufenthalt in Deutschland abzusichern.

Flüchtlinge könnten unter Rezession leiden

Darüber hinaus seien syrische Flüchtlinge meist schon gut ausgebildet und hofften darauf, einen Job zu bekommen, der mit ihren Qualifikationen übereinstimmt. Poutvaara macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die wirtschaftliche Lage werde sich künftig wohl eher verschlechtern. Das mache es für Menschen mit niedrigeren Sprachkenntnissen noch schwerer, einen Job zu finden.

Er sagte: „Die Hochkonjunktur der vergangenen Jahre war eine gute Voraussetzung für Integration - auch von schlechter Qualifizierten. Angesichts der aktuellen, schlechteren Perspektive müssen jetzt noch größere Anstrengungen unternommen werden.“ Darüber hinaus könnte es auch eine Rolle spielen, dass viele Flüchtlinge den Arbeitsmarkt noch nicht kennen.

Deutsche beziehen am häufigsten Hartz IV

5,5 Millionen Personen in der Bundesrepublik bekommen insgesamt die finanzielle Unterstützung von der Arbeitsagentur. Insgesamt sind zwei Millionen davon Ausländer. Die Erklärung für den extrem hohen Anteil an Syrern sind die starken Flüchtlingsströme im Jahr 2015.

Weil sehr viele Syrer ins Land kamen, stellen sie die mit Abstand größte Gruppe bei ausländischen Empfängern der Grundsicherung. Zwar hat die Arbeitsagentur einen ganzen Katalog an Maßnahmen, um Menschen hier ins das Berufsleben zu integrieren. Nicht immer ist dies allerdings zeitnah und ohne Komplikationen möglich.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) trägt jeden Monat aktuelle Zahlen zusammen.

  • In absoluten Zahlen: 592.310 Syrer insgesamt im Mai.
  • Die Arbeitslosenquote für syrische Staatsbürger lag demnach im Juni dieses Jahres bei 44,2 Prozent, Tendenz leicht sinkend.
  • Ein Jahr zuvor waren es noch 49,6 Prozent.

Hartz IV für Flüchtlinge – ifo-Forscher warnt

Auf Anfrage eines AfD-Bundestagsabgeordneten teilte die BA jetzt mit, das zuletzt 74,9 Prozent der Syrer ganz oder teilweise auf Hartz IV angewiesen waren. Darüber hinaus gibt es das Problem, dass Menschen während des Asylverfahrens keinen Zugang zu staatlich finanzierten Integrationskursen hatten, erklärte Panu Poutvaara, Leiter des ifo Zentrums für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung.

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Hartz IV: Nicht jeder zählt als Arbeitsloser

In der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in Deutschland erhalten Schutzsuchende auch Geld vom Staat - aber nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – der Satz liegt unter dem Regelsatz von Hartz IV, bei dem es 424 Euro für Alleinstehende gibt.

Auch viele Afghanen brauchen Grundsicherung

Laut Bundesagentur erhielten im Mai dieses Jahres rund 43 Prozent der Afghanen im erwerbsfähigen Alter Hartz-IV-Leistungen.

  • Die Arbeitslosenquote lag für diese Gruppe im Juni bei rund 26 Prozent.
  • Zum Vergleich: im Juni waren 4,7 Prozent der Deutschen und 12,2 Prozent aller Ausländer arbeitslos.
  • 1,6 Prozent der Leistungsberechtigten kamen aus dem EU-Staat Bulgarien.

Mitgezählt werden hier auch Kinder und Menschen im Rentenalter. Bei Doppelstaatlern berücksichtigt die Bundesagentur nur eine Staatsbürgerschaft.

Hartz IV nach Staatszugehörigkeit

Wie eine Tabelle zeigt, die von der BA für den AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer erstellt wurde, waren im September 63,6 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger deutsche Staatsbürger.

  1. Deutsche: 63,6 Prozent
  2. Syrer: 10,5 Prozent
  3. Türken: 4,2 Prozent
  4. Iraker: 2,5 Prozent
  5. Afghanen: 2,2 Prozent

Bildungsniveau syrischer Flüchtlinge höher

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ist das Bildungsniveau der Flüchtlinge aus Syrien höher als bei Flüchtlingen aus Herkunftsländern wie Afghanistan, Eritrea oder Somalia.

Die Gründe, warum Menschen aus aller Welt nach Deutschland kommen, haben sich seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 stark verändert. Immer weniger Menschen fliehen in die Bundesrepublik – und immer mehr kommen, um hier zu arbeiten. Das berichtete kürzlich die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Deutschland nach USA populärstes Zuwanderungsland zum Arbeiten

Demnach ist Deutschland im Vergleich der OECD-Staaten hinter den USA nach wie vor das zweitbeliebteste Zuwanderungsland. Die Zahl der Erstanträge auf Asyl ging laut der Studie 2018 in Deutschland um 18,3 Prozent auf 162.000 Anträge zurück.

Die Chancen von Zuwanderern, in Deutschland einen Job zu finden, sind dabei sehr gut: Ende 2018 hatten erstmals 70 Prozent der Zuwanderer in Deutschland Arbeit. Die Qualität der Jobs sei allerdings bescheiden.

Die AfD ist pessimistisch. „Die angekündigten Fachkräfte sind ausgeblieben. Stattdessen sehen wir eine systematische Einwanderung in unsere Sozialsysteme“, sagte der AfD-Abgeordnete Springer.

Hartz IV im Fokus

Noch immer steht Hartz IV groß in der Kritik. Jeder fünfte Hartz-IV-Empfänger bekommt nicht genug Geld für die Miete. Für Aufregung sorgte zuletzt auch eine Hartz-IV-Empfängerin, die sich eine Luxus-Reise buchte und dafür zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant indes ein umfangreiches Reformprogramm für Hartz IV und Kindergeld. (dpa/tb/bekö)

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