Berlin Die Frau brauchte Geld, weil sie durch eine Behinderung öfter neue Schuhe kauft. Das Jobcenter weigerte sich – und verlor vor Gericht.
Wer bezahlt, wenn eine Hartz-IV-Empfängerin wegen ihrer Gehbehinderung einen höheren Verschleiß an Schuhen hat als andere Menschen? Im Fall einer Sozialhilfeempfängerin aus dem Norden entschied nun das Sozialgericht in Hamburg: Das Jobcenter muss für den Mehrbedarf der Frau zahlen. Dieses hatte sich zunächst geweigert.
Das Gericht urteilte in dem Fall bereits am 23. August 2022. Der DGB Rechtsschutz für Gewerkschaftsmitglieder hatte die Klägerin vertreten und teilte den Fall und das Urteil Ende September auf seiner Hamburger Webseite. "Das Jobcenter hatte die Kosten auf die Krankenkasse abwälzen wollen", hieß es dort. Doch damit hat die Behörde laut Gericht Unrecht.
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Wieviel Geld Arbeitslose im Monat für ihre Garderobe bekommen, legt der Regelsatz fest: 34,60 Euro erhalten Hartz IV-Empfangende im Regelbedarf für Schuhe und Bekleidung. Zu wenig für die 56-jährige Klägerin im Hamburger Fall.
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Hartz IV: Jobcenter wollte nicht für Schuhe aufkommen
Wegen einer neurologischen Erkrankung habe sie eine Fehlbildung an den Beinen, den Sprunggelenken und den Füßen. Daraus entstehe eine veränderte Gangart, bei der ihre Schuhe an den Innenseiten bereits nach ein bis zwei Monaten viel stärker abgenutzt seien als bei anderen Menschen.
Das bereitet der Sozialhilfeempfängerin regelmäßig Probleme: Durch den Verschleiß entstünden Risse an den Klebeflächen der Sohlen, die Füße der Frau werden bei Regen nass. Zudem, so heißt es in der Klageschrift, verursachten die verschlissenen Schuhe bei der Frau Schmerzen an den Füßen und den Knien.

Weil die Sozialhilfeempfängerin in der Folge öfter neue Schuhe kaufen muss als andere Personen, hatte sie bereits 2019 einen Mehrbedarf bei ihrem Jobcenter beantragt – für vier Paar handelsüblicher Straßenschuhe, die sie zwischen dem 23. Oktober 2019 und dem 11. März 2020 gekauft hatte. Kostenpunkt: zwischen 22,99 Euro und 159 Euro.
Hartz IV Mehrbedarf: Dann erhalten Empfangende mehr Geld
Wenn Hartz IV-Empfangende zusätzliche Hilfe benötigen und die Anspruchsvoraussetzungen aus dem § 21 SGB II erfüllen, muss das Jobcenter ihnen den sogenannten Mehrbedarf gewährleisten. Eine solche Hilfe können etwa manche Personen mit Behinderungen erhalten oder werdende Mütter ab der 13. Schwangerschaftswoche.
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Bei der Klägerin in Hamburg weigerte sich das Jobcenter aber bis zuletzt, für die zusätzlichen Kosten von 19,46 Euro monatlich als Mehrbedarf aufzukommen. Und das, obwohl die Frau mehrere ärztliche Atteste vorgelegt hatte, die ihre Erklärung belegten – unter anderem auch eine Bescheinigung eines Amtsarztes, den das Jobcenter selbst beauftragt hatte.
Die Behörde stützte sich in ihrer Entscheidung auf die Krankenkasse, die für das Schuhwerk der Sozialhilfeempfängerin aufkommen sollte. Tatsächlich hatte diese der Frau im Februar 2020 einen Brief geschickt, in dem sie die Kostenübernahme genehmigte. Dem Schreiben zufolge erhielt auch das Jobcenter den Brief. Doch es gab ein Problem.
Laut Heilmittelverzeichnis ist die Krankenkasse nur dazu berechtigt, Einlagen und orthopädische Schuhe zu übernehmen. Normale Straßenschuhe bezuschusst die Kasse als "Mittel des täglichen Bedarfs" allerdings nicht.
Hartz IV-Empfängerin gewinnt am Ende gegen das Jobcenter
Für das Jobcenter ergab sich daraus offenbar eine einfache Herleitung: Da die Krankenkasse sich bereiterklärt hatte, orthopädische Schuhe zu bezahlen, solle die Sozialhilfeempfängerin ausschließlich solches Schuhwerk kaufen. Diese allerdings reichte Klage ein: Ein Orthopädieschuhtechniker habe ihr erklärt, sie sei mit Straßenschuhen und für sie passenden Einlagen derzeit am besten beraten.
Das sah schließlich auch das Hamburger Sozialgericht so: Das Jobcenter müsse der Frau den Mehrbedarf auszahlen, hieß es. Die Voraussetzungen dafür erfülle die gehbehinderte Hartz IV-Empfängerin, es bestünden auch keine Einsparmöglichkeiten, so das Gericht.
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Auch für den Einwand des Jobcenters, die Frau möge sich doch orthopädische Schuhe durch die Krankenkasse bezuschussen lassen, lehnte das Gericht ab. "Darauf war der Antrag der Klägerin beim Beklagten gerade nicht gerichtet", hieß es in der Urteilsbegründung knapp. "Sie begehrt als Inhalt des Mehrbedarfs handelsübliche Schuhe, keine orthopädischen Schuhe." (reba)
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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.
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