Berlin Der Altkanzler meldet sich zu Wort. Gerhard Schröder attackiert die SPD-Vorsitzende - und bringt Sigmar Gabriel ins Spiel.
Was Gerhard Schröder von Andrea Nahles hält, kann man in sechs Buchstaben ausdrücken: nichts. In einem Interview im „Spiegel“ teilt der Altkanzler ordentlich gegen die SPD-Chefin aus. Er macht das wie eh und je, mit einem Wort, das man auch auf dem Bolzplatz versteht: „Amateurfehler“.
Nun stellen sich Parteikollegen auf Nahles’ Seite – und weisen die scharfe Attacke eindeutig zurück. Tenor: Der frühere Staatschef möge sich bitte zurückhalten.
Parteikollegen sind auf Nahles’ Seite
Bundesvize Ralf Stegner nannte die Äußerungen unsolidarisch. „Glaubt jemand, dass es irgendeinen Nutzen für die eigene Partei hat, wenn sich Politiker aus dem Ruhestand unfreundlich über ihre Amtsnachfolger(innen) äußern?“, schrieb Stegner auf Twitter. „Das nützt immer nur der politischen Konkurrenz“.
Außenminister Heiko Maas (SPD)
auf die Frage, ob er Nahles zutraue, die Partei aus dem Umfragetief zu führen: „Natürlich“.
Darum geht es:
- Schröder kritisierte die sprachlichen Ausrutscher von Nahles
- Er spricht ihr die wirtschaftliche Kompetenz ab
- Umfragewerte der SPD derzeit nicht gut
- Die Feindschaft zwischen Nahles und Schröder ist seit Jahren bekannt
Schröder bezieht sich mit dieser Kritik auf Nahles’ sprachliche Ausrutscher, etwa der Formulierung „Bätschi“. Nahles hatte nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen Ende 2017 als Fraktionschefin in einer Bundestagsrede über die Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung gesagt: „Die SPD wird gebraucht. Bätschi, sage ich dazu nur. Und das wird ganz schön teuer. Bätschi, sage ich dazu nur.“
Zum Nachlesen:
Schröder kommentiert das so: „Das sind Amateurfehler. Sie war damals zwar noch nicht Vorsitzende, aber so drückt man sich einfach nicht aus.“ Unmissverständliche Aussage: Sie kann es nicht.
Gerhard Schröder sieht keine Kanzlerkandidatin in Andrea Nahles
Und es bleibt nicht bei diesem einen Angriff. Schröder, von 1999 bis 2004 selbst SPD-Vorsitzender, spricht Nahles auch wirtschaftliche Kompetenz ab – und bescheinigt ihr, nicht als Kanzlerkandidatin geeignet zu sein.
„Wenn uns nicht eine Mehrheit der Menschen ökonomische Kompetenz zubilligt, werden wir nicht wieder den Kanzler stellen“, sagte Schröder, der zu seiner Amtszeit auch den Spitznamen Genosse der Bosse trug. „Wer glaubt, dass die SPD erfolgreich einen Kanzlerkandidaten ohne diese Kompetenz aufstellen könnte, der irrt.“

Auf die Frage, ob Nahles diese Kompetenz habe, antwortet Schröder in einem Satz: „Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten.“
Nahles steht mit dem Rücken zur Wand
Das sind harte Angriffe, die ohnehin starken Druck auf Nahles noch weiter erhöhen. Auch weil Schröder seinem ehemaligen Generalsekretär und heutigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz zugute hält, „dass er was von Wirtschaft versteht“.
Die SPD-Chefin steht mit dem Rücken zur Wand. Das Jahr 2018 ist sehr schlecht gelaufen. Sie wurde mit nur 66,3 Prozent zur Vorsitzenden gewählt. Bei der Landtagswahl in Bayern holte die SPD weniger als zehn Prozent.
Umfragen sehen die SPD bundesweit bei 14 bis 16 Prozent – Schröder holte bei der Wahl 1998 noch 40,9 Prozent. Das Etikett Volkspartei haben die Sozialdemokraten verloren. Der Aufschwung der Grünen und der soziale Kurs, den Parteichef Robert Habeck mit seinem Gedanken zur Grundsicherung ohne Sanktionen und einem Ende von Hartz IV einschlägt, bereiten Nahles zusätzlich heftige Kopfschmerzen. Mittlerweile sprechen Beobachter nur noch von der ehemaligen Volkspartei SPD.
Die SPD zittert vor den nächsten Wahlen
Auch Nahles stellt das jetzige Hartz-IV-System öffentlich infrage. Schröder sieht hier sein Lebenswerk bedroht, im Interview sagt er: „Unbezahlbare Forderungen im Sozialbereich kann die Linkspartei aufstellen, aber die SPD doch nicht. Wenn ich höre, was da bei uns diskutiert wird, von der Abschaffung aller Sanktionen bei Hartz IV bis zum bedingungslosen Grundeinkommen, dann müssen wir aufpassen.“
2019 könnte es für die SPD noch dicker kommen als 2018. Im Mai steht die Europa-Wahl an, im September und Oktober Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die SPD zittert. Viele Sozialdemokraten blicken auf Nahles: Hat sie die Kraft, den Hebel umzulegen? Hat sie überhaupt das Zeug dazu?
Seit Wochen gibt es zudem Gerüchte, dass Ex-Parteichef und Nahles-Gegner Sigmar Gabriel sich für ein Comeback warmläuft. Als Außenminister gehörte der Niedersachse zu den beliebtesten Politikern Deutschlands. Doch in der SPD-Fraktion hat er nur noch wenige Fans. Mit seiner ruppigen Art hatte sich Gabriel als SPD-Chef intern viele Feinde gemacht.
Schröder bringt Sigmar Gabriel wieder ins Spiel
Schröder hatte sich während der Zeit der Agenda-2010-Reformen heftig mit Gabriel, der damals Ministerpräsident von Niedersachsen war, gestritten. Doch das ist lange vorbei. Er empfiehlt seinen Genossen, es noch mal mit Gabriel zu versuchen. Ein weiterer Hieb auf Andrea Nahles.
Wörtlich sagt Schröder: „Sigmar Gabriel ist vielleicht der begabteste Politiker, den wir in der SPD haben. Er ist nur in der Partei ein paar Leuten zu fest auf die Füße getreten. Er muss selbst entscheiden, ob er noch einmal eine stärkere Rolle spielen will. Aber die SPD könnte von seinen Fähigkeiten nach wie vor profitieren. Unabhängig davon rate ich allen, die was in der SPD werden wollen: Wer um das höchste Regierungsamt kämpft, muss es unbedingt wollen. Die Leute, die einen wählen sollen, gucken schon ganz genau hin, ob jemand brennt oder nicht.“
Was Schröder nicht erwähnt: Gabriel war fast acht Jahre SPD-Chef, hätte mehrfach Kanzlerkandidat werden können – hat jedoch nie zugegriffen. Er zögerte und zauderte und rechnete sich keine Chancen gegen die populäre Regierungschefin Angela Merkel (CDU) aus.
Eine alte Feindschaft zwischen Schröder und Nahles
Schröder gehört wie Gabriel zur Niedersachsen-Connection in der SPD, auch das erklärt harten Worte in Richtung Nahles. Doch das Abwatschen hat nicht nur mit alten Hannover-Seilschaften zu tun. Es ist auch eine persönliche Sache zwischen Schröder und Nahles, eine alte Feindschaft.
Sie gehörte in seiner zweiten Amtszeit (2002 bis 2005) zu seinen energischsten Kritikern. Kämpfte gegen die Agenda 2010, vor allem gegen Hartz IV, nannte Schröder „Abrissbirne des Sozialstaats“. Schröder machte sich im SPD-Vorstand über Nahles lustig. Diese Wunden sitzen tief, bei beiden. Zuletzt schwiegen beide, es herrschte Waffenstillstand zwischen Schröder und Nahles. Den hat der Altkanzler jetzt gebrochen.
In der SPD herrscht jetzt erschrockenes Schweigen. Nur wenige melden sich zu Wort. Partei-Vize Ralf Stegner schreibt auf Twitter: „Wer einmal politische Verantwortung getragen hat, weiß viel besser als jede(r) andere, was davon zu halten ist, wenn die, die früher Verantwortung getragen haben, ihren Amtsnachfolgern öffentliche Ratschläge geben. Das gilt erst recht, wenn es sich dabei eher um Schläge handelt.“
Hier geht es zum „Spiegel“-Interview (Bezahlinhalt)
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