Berlin. Experten rechnen damit, dass die Corona-Fallzahlen auch im Januar zu hoch für Lockerungen sind. Dauert der Lockdown bis ins Frühjahr?
- Seit Mittwoch befindet sich Deutschland wieder im Lockdown und fährt das öffentliche Leben weitgehend herunter
- Die Politik hat den Shutdown bis zum 10. Januar angesetzt, doch es mehren sich die Stimmen, dass diese Zeit nicht ausreichen wird
- Der Weltärztepräsident glaubt sogar, er könnte bis Ostern gehen
Deutschland geht in den Lockdown. Bis zum 10. Januar schließen die meisten Läden, Schüler und Kitakinder sollen zu Hause bleiben, Reisen unterbleiben. In genau drei Wochen – am 5. Januar – wollen die Kanzlerin und die Länderchefs wieder zusammenkommen und beraten, ob der Lockdown gelockert, verlängert oder sogar verschärft werden soll. Was, wenn die Zahlen dann immer noch dramatisch hoch sind? Müssen sich die Deutschen auf strenge Corona-Maßnahmen bis Ostern einstellen?
- Das Ziel der Kanzlerin, die Zahl der Neuinfektionen wieder bundesweit unter 50 Fälle pro Woche auf 100.000 Einwohner zu senken, wird aller Voraussicht nach am 10. Januar noch nicht erreicht sein.
- Dazu sind die Fallzahlen zu hoch und die Zeit zu knapp: „Die Zahlen sind so hoch wie nie, und sie steigen weiter an“, warnte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), am Dienstag.
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RKI-Chef: Lage wird sich bis Weihnachten noch zuspitzen
Das Virus sei mittlerweile in der gesamten Bevölkerung verbreitet, es gebe aktuell in Deutschland mehr als 325.000 aktive Fälle – im Sommer dagegen waren es gerade mal wenige Tausend. Heikel ist auch die Lage in den Kliniken: Von rund 27.000 Intensivbetten sind inzwischen rund 22.000 belegt. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die Situation über Weihnachten noch zuspitzen wird“, so Wieler. Und dann? Wann beginnt der Lockdown zu wirken?
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Der Mathematiker Christian Hesse, Experte für Risikoberechnungen an der Universität Stuttgart, hat anhand der Erfahrungen aus dem Frühjahr berechnet, wie sich die Zahlen in den nächsten Wochen voraussichtlich entwickeln könnten: Die Fallzahlen würden demnach noch etwa bis Weihnachten ansteigen, dann setze voraussichtlich eine Trendwende ein.
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„Es dauert gut drei Wochen nach Anfang des Lockdowns, bis sich die Neuinfektionen halbiert haben. Und dann weitere zwei Wochen, bis sie sich abermals halbiert haben. Dann sind wir in etwa beim 20. Januar.“ Es sei demnach „höchst unwahrscheinlich“, dass die angepeilte Ziel-Inzidenz von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen schon am 10. Januar erreicht sei.
Beim nächsten Bund-Länder-Treffen wird deshalb die Frage auf dem Tisch liegen, ob und wie lange der Lockdown verlängert werden muss. Die Kanzlerin und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) klangen zuletzt eher pessimistisch: Es dauere „so lange es dauert“, sagte Söder. Der Lockdown werde „erst einmal“ bis zum 10. Januar dauern, deutete Angela Merkel eine mögliche Verlängerung an. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht nicht von einem schnellen Ende der harten Maßnahmen aus: „Auch eine Vollbremsung wird eine lange Bremsspur haben.“
Montgomery: Harter Corona-Lockdown wirkt erst ab Ende Januar
Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes, spricht dagegen aus, was viele Spitzenpolitiker so konkret noch nicht sagen wollen: Modellrechnungen zeigten, dass der harte Lockdown die Zahl der Neuinfektionen frühestens ab Ende Januar bundesweit unter die 50er-Inzidenz drücken werde, sagte Montgomery unserer Redaktion. Und auch das gelinge nur, wenn sich alle an die Regeln hielten.
„Deshalb müssen wir uns darauf einstellen: Es wird eine Verlängerung des Lockdowns über den 10. Januar hinaus geben.“ Denn selbst wenn die Impfungen jetzt früher beginnen als erwartet, werde der Effekt nur allmählich zu einer Verbesserung der Lage beitragen. „Wir werden mindestens noch bis Ostern mit verschiedenen Lockdown-Maßnahmen leben müssen.“
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Weltärztepräsident: Trotz Impfstart Lockdown-Maßnahmen bis Ostern
Montgomerys Appell: „Die Politik muss das Land nach dem harten Lockdown langsam wieder auftauen.“ Gehe dieser Prozess zu schnell, sei die Gefahr groß, dass das Land kurz darauf in eine noch größere Pandemiewelle gerate. Denn: Mit jeder neuen Welle verbreite sich das Virus weiter in der Bevölkerung und müsse dann mit immer härteren Maßnahmen bekämpft werden. „Wir müssen einen Jojo-Effekt bei den Lockdown-Phasen vermeiden“, fordert der Weltärztepräsident.
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Für Wirte und Einzelhändler, Friseure und Kinobetreiber bedeutet das: Abwarten, was Merkel und die Ministerpräsidenten am 5. Januar beschließen. Auch für Eltern gibt es noch keine klare Perspektive: Die Kultusminister wollen vor dem 10. Januar über das weitere Vorgehen beraten. Sobald wie möglich soll wieder Präsenzunterricht stattfinden.
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Geschlossene Schulen und Kitas: Elternvertreter fordern Planungssicherheit
Der Lehrerverband hat für die nähere Zukunft vor allem zwei Wünsche: einen Stufenplan, der festlegt, welche Unterrichtsform ab welchem Inzidenzwert gilt. Und mehr Tempo bei der digitalen Ausstattung der Schulen, die immer noch große Lücken hat. „Wir brauchen jetzt eine große Kraftanstrengung, um die Schulen fit zu machen für Wechselunterricht und Distanzlernen“, sagt Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger.
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Eltern von jüngeren Kindern stehen beim eingeschränkten Kita-Betrieb vor allem vor einem Betreuungsproblem, zum zweiten Mal seit Beginn der Pandemie. „Viele Leute hecheln immer noch den Arbeitsausfällen aus dem Frühjahr hinterher“, sagt Katharina Queisser, Sprecherin der Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (Bevki) unserer Redaktion. „Es muss jetzt eine verbindliche Regelung geben für Sonderurlaub für Eltern.“ Es dürfe nicht sein, dass Eltern am Ende auf den Jahresurlaub zurückgreifen müssten.
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