Queen of Drags

Was bedeutet Drag? Alles zu Queens, Kings – und Geschlecht

| Lesedauer: 13 Minuten
Drag Queens: Teilnehmerinnen der US-Show "RuPauls Drag Race" treten mit Jurorin Michelle Visage (Mitte) auf. In den USA ist Drag inzwischen ein großer Geschäftszweig.

Drag Queens: Teilnehmerinnen der US-Show "RuPauls Drag Race" treten mit Jurorin Michelle Visage (Mitte) auf. In den USA ist Drag inzwischen ein großer Geschäftszweig.

Foto: imago / ZUMA Press

Berlin.  Auf ProSieben startet „Queen of Drags“. Aber was ist Drag? Wie politisch ist die Kunstform? Alles, was man zum Thema wissen muss.

Mit „Queen of Drags“ hat es die Drag-Kultur auch in Deutschland zur besten Sendezeit ins Fernsehen geschafft. Neu ist das natürlich alles nicht, die künstlerische Spielform des Geschlechterwechsels zur Unterhaltung – aber auch als politisches Statement – hat Geschichte.

Wenn Heidi Klum, Conchita Wurst und Bill Kaulitz nun also Deutschlands „Königin“ suchen, die beste Drag-Queen also, ist das vor allem unterhaltsam. Wer das Format und die Kultur allerdings wirklich verstehen will, muss mehr wissen: von RuPaul bis Tea.

Drag Queens und ihre Kultur: Das große ABC von Drag bis Wig

• Drag

Die Herkunft des Wortes Drag ist ungeklärt. Manche beziehen es auf das englische Wort „schleppen“ und damit auf die oft ausladenden Kleider der Drag Queens mit Schleppe, Pailletten und Tüll. Drag lebt von der Überspitzung und Überzeichnung. Zu groß, zu bunt, zu abgefahren – gibt es nicht.

Andere sehen es als Abkürzung, wobei diese wohl erst später erfunden wurde: Dressed Resembling A Girl/Guy, also „Bekleidet angelehnt an ein Mädchen/einen Typen“.

Eine der heute berühmtesten Drag Queens der Welt, RuPaul, behauptete einmal in einem Podcast, schon Shakespeare hätte diese Abkürzung genutzt und auch so gemeint. Das ist allerdings ein Mythos.

Die Spielform, dass Männer als Frauen auftreten, ist alt. In Europa geschah dies im 18. Jahrhundert in der Pantomime. In den USA waren vor allem „Minstrel Shows“ ein Auftrittsort – Weiße stellten Schwarze zu Unterhaltungszwecken dar – stereotyp und entsprechend problematisch.

• Drag Queen/King

Drag Queens sind Männer, die sich wie Frauen anziehen und auftreten, beim Drag King ist es umgekehrt. Inzwischen sind die Grenzen aber fließender, Geschlecht wird ohnehin oft als dehnbarer Begriff gesehen. So wird oft einfach von Drag Artists/Performern gesprochen.

Kompliziert wird es ohnehin, wenn jemand transsexuell ist und gleichzeitig in Drag auftritt. Angenommen jemand wurde als Mann erzogen, fühlt sich aber als Frau. Und macht dann Drag. Ohne allerdings je eine geschlechtsangleichende Operation gehabt zu haben. Dann wird es mit Definitionen und Schubladen ohnehin schwierig. Und führt zur Frage, ob die nicht ohnehin unnötig sind.

In der weltweit erfolgreichen Show „RuPauls Drag Race“ der Queen RuPaul (in Deutschland auf Netflix zu sehen) trat bereits in der zweiten von mittlerweile elf Staffeln mit Sonique eine transsexuelle Person an. Sonique hatte sich mit 15 gegenüber der Mutter als transsexuell geoutet – die ihren (damals) Sohn daraufhin zum Militär schickte, damit er männlicher wird. Das klappte erwartungsgemäß nicht.

Wie viele Teilnehmerinnen der RuPaul-Show machte sie danach Karriere, ist unter anderen mit Christina Aguilera und Miley Cyrus aufgetreten. Inzwischen haben mehrere Kandidatinnen während oder nach der Show ihre Transsexualität bekannt gemacht.

• Drag Mother/Drag Family

Viele junge Drag Queens suchen sich Vorbilder, die sie idealerweise unter ihre Fittiche nehmen und „ausbilden“ – also schulen in Make-up und Auftreten. Oft gibt es ganze „Familien“ – auch Olivia Jones hat sich Familienmitglieder gesucht, so ist etwa die Kandidatin aus „Queen of Drags“, Eimsbüttelerin Samantha Gold, Teil der Jones-Gemeinde. Und arbeitet in ihrer Bar.

Oft ist auch von einem „House“ die Rede. Man gehört zu einem „House“, was einer Familie entspricht. Was schön klingt, hat oft einen traurigen Hintergrund. Denn nicht selten werden junge Menschen, die nicht heteronormativen Vorstellungen entsprechen, von ihren Eltern verstoßen. Sie suchen sich dann neue Familien – Menschen, die verstehen, wie es ist, wenn man nicht mehr dazugehört. Und so oft eine ganz neue Zusammengehörigkeit erfahren.

• Gag

Gag ist Englisch und bedeutet Würgereflex, steht aber auch für Mundsperre und witzige Einfälle. Im Drag-Kontext ist es mehr oder weniger ein Zusammenspiel von allem: Gagging ist die Reaktion auf etwas Unvorhersehbares, gut wie schlecht. So kann ein extremes Kostüm jemanden zum gaggen bringen, aber auch eine komplett unverschämte Aussage oder ein problematischer Witz.

• Geschlecht/Gender

In der Soziologie und der Genderforschung gilt das Geschlecht in vielen Auslegungen als Konstrukt: etwas, das erfunden wurde von der Gesellschaft. Es bezieht sich in dieser Lesweise nicht auf die äußeren Geschlechtsmerkmale, sondern auf das innere Empfinden. Ganz kurz gefasst: Nur, weil jemand mit einem Penis geboren wird, muss er nicht den Erwartungen entsprechen, die von der Gesellschaft an einen Mann gestellt werden. Jemand kann wie ein Mann aussehen, sich aber als Frau identifizieren. Oder auch einfach auf die Festlegung verzichten.

Immer mehr Behörden und Firmen bieten in Formularen neben „männlich“ und „weiblich“ als Geschlechtsangabe auch „andere“ oder „divers“ an. Noch keinen Durchbruch gab es in der deutschen Sprache in der Ansprache dieser Personen. Manche nutzen „es“, der Begriff „sier“ taucht auf.

Im Englischen werden Personen zum Beispiel mit „them“ und „their“ statt „he/she“ und „his/her“ angesprochen. Popstar Sam Smith („Stay With Me“) hat sich entschieden, ab sofort diese Pronomen zu nutzen. RuPaul erklärte mal, ihm sei völlig egal, wie er genannt werde.

Großer Teil der Drag-Kultur ist es, Geschlechtergrenzen aufzusprengen und die Notwendigkeit der Einteilung in Frage zu stellen. Damit ist Drag auch politisch.

• Homosexualität

Oft denken viele, alle Drag Queens sind schwul. Es ist nicht falsch, dass sich die Mehrheit so sexuell identifizieren würde. Ausnahmen bestätigen aber die Regel. Auch ist Drag nicht zwangsläufig sexualisiert zu betrachten.

Manche Drag Queen ist heterosexuell, manch andere würde eher ihre Perücke fressen, als die beim Sex aufzulassen. Wie oft die Künstler mit solchen Vorurteilen konfrontiert werden, zeigt nur, wie viele Menschen in Schubladen denken.

• Kiki

Als Kiki bezeichnet man einerseits das Zusammenkommen mehrerer Personen, die – bevorzugt – über andere Menschen reden. Eine Art Kaffeeklatsch quasi. In der Drag-Szene bezeichnet es vor allem, Verschiedenheit und Andersartigkeit zu feiern.

• Make-up

Ist ganz offensichtlich das Wichtigste im Leben eines Drag Performers. Übrigens: Viele Drags sehen sich nicht weniger als Mann, weil sie gelegentlich als Frau auftreten. Da ändert auch nichts dran, dass die TV-Moderatorin Barbara Schöneberger neulich erklärte, Männer, die sich schminken, seien keine Männer. Von so viel ignoranter Engstirnigkeit waren dann doch viele Fans überrascht – zumal viele die Aussagen gefährlich fanden.

Heidi Klum zeigte ihre Meinung dazu eindeutig. Und postete auf Instagram ein Video mit Olivia Jones, Conchita Wurst und Bill Kaulitz – geschminkten Männern. „Der Kampf ist leider nicht vorbei – es gibt immer noch Menschen, die Problem mit Andersartigkeit haben“, schrieb sie dazu. „Ich nicht! Männer mit Make-up? I LOVE IT! Leben und leben lassen.“

• Politik

Drag ist häufig politisch. Denn es spielt mit Erwartungen an Geschlechterrollen sowie an Männlichkeit und Weiblichkeit. Eine wichtige politische Komponente ist auch der konsequente Widerstand gegen verkrustete (Macht-)Strukturen.

Denn während in Ländern wie Deutschland keinerlei strafrechtlichen Konsequenzen drohen, wenn zum Beispiel ein Mann als Frau auftritt, gibt es Länder, in denen nonkonformes Verhalten und alles, was nicht der Heterosexualität zuzuordnen ist, unter Strafe gestellt ist – bis hin zum Tod.

• Protest

In der queeren, also nicht sexuellen Normen entsprechenden Kultur, ist der Protest eigentlich Dauerzustand. Denn seit jeher müssen die Menschen für ihre Rechte kämpfen. Einer der bekanntesten Proteste der Szene waren die Stonewall Riots in New York – mit dem Aufstand reagierte die Community auf ständige Gewalt und Herabwürdigung. Neben Trans- und Homosexuellen waren auch viele Drag Queen involviert, die mit ihren oft überzeichneten Frauen-Darstellungen vielen ein Dorn im Auge waren.

Der englische „Guardian“ hat eine tolle Kurz-Reportage über die Drag Queens of Stonewall gemacht:

• Read/Shade/Tea

Beim Read wird eine andere Person so richtig von oben bis unten auseinander genommen. Es ist im Prinzip nichts anderes, als jemanden mal so richtig von oben bis unten zu beleidigen. Der Grat ist dabei schmal – ein guter Read ist clever und irgendwie auch liebevoll, kein stumpfes Geläster.

Shade bedeutet Schatten – und etwas Ähnliches: „Throwing Shade“, also „Schatten werfen“ bezeichnet, wenn jemand eine andere Person mit seinen Äußerungen in den Schatten stellt.

Tea („Tee“) sind die neusten Gerüchte und Berichte über andere Personen. „The tea is served hot“, „Der Tee wird heiß serviert“, heißt: „Ich habe brandneuen, richtig guten Tratsch über einen Bekannten“. Wenn jemand dagegen steinalte Geschichten erzählt, ist der Tee „cold“.

• RuPaul

RuPaul ist die wohl bekannteste Drag Queen der Welt. In elf Staffeln (plus All-Star-Staffeln und einem englischen Ableger) beurteilte der 58-jährige RuPaul Andre Charles schon viele Drag Queens. Viele machten international Karriere, auch in deutschen Großstädten wie Berlin und Hamburg machen die jährlichen Tourneen der Teilnehmerinnen Halt.

RuPaul ist die Ikone der Szene, Sänger (der Song „Supermodel (You Better Work)“ war in den 90ern weltweit ein Achtungserfolg), er ist Autor, bekam zahlreiche Preise für die Show und sein Engagement, auch den Emmy. Dank Netflix hat er eine internationale Fangemeinde. Viele sehen in Heidi Klums neuer Show „Queen of Drags“ eine Kopie. Es gibt aber auch Unterschiede – etwa, dass man die Kandidaten auf ProSieben auch beim Zusammenleben, nicht nur im Wettkampf begleitet.

Mit Auftritten in New York baute RuPaul sich seinen Ruf auf. Das „Time Magazine“ wählt ihn 2017 in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Besonders aufgrund seiner Verdienste für die Szene. Seine Definition von Drag ist extrem politisch. Aber sie geht noch weiter. Alles, was jeder Mensch nach der Geburt tue, sei ohnehin nichts als Drag: sich verkleiden, um irgendwer zu sein. „Drag sagt, ich bin ein Formwandler, dass ich mache, was immer ich will – zu jeder Zeit.“

• Superstars

Zu den bekanntesten internationalen Queens gehören neben RuPaul

  • Bianca del Rio
  • Alyssa Edwards
  • Alaska Thunderfuck
  • Lady Bunny
  • Shangela

In Deutschland ist Olivia Jones, die Hamburger-Kiez-Größe mit Dschungel-Camp-Vergangeheit, die bekannteste Drag-Queen. Ernst-Johann „Ernie“ Reinhardt machte als Lilo Wanders Karriere. Sie moderierte das Sexthemen-TV-Format „Wa(h)re Liebe“.

Zu den bekanntesten deutschen Drag-Paaren zählen außerdem Mary & Gordy – Georg Preuße und Reiner Kohler. Zur Zeit des großen Erfolges der beiden in den 80er Jahren traten sie aber als Transvestiten auf.

• Transsexualität

Transsexualität und Drag haben nicht zwingend etwas miteinander zu tun. So kann natürlich eine Transperson Drag machen. Aber bei weitem nicht alle Drag-Künstler fühlen sich im falschen Geschlecht geboren. Transsexuelle kleiden meist nicht aus Unterhaltungs- oder Protestzwecken dem ihnen zugeordneten Geschlecht entgegengesetzt. Sondern weil sie in der falschen Geschlechterrolle aufgezogen worden sind und ihrer wahren Identität folgen.

Hintergrund: Transgender – Wie es ist es, wenn die eigene Tochter plötzlich zum Sohn wird

• Tucking

Das Wegkleben/-klemmen der primären Geschlechtsorgane zur Verbesserung der Illusion des anderen Geschlechts. Übrigens auch ein Thema in der „Queen of Drags“-Premiere: Mehr als Karneval für Schwule.

• Tunten/Travestie

Es ist streitbar, inwiefern Drag und Tuntentum beziehungsweise Travestiekunst deckungsgleich sind. Je nachdem, wen man fragt, ist die eine Spielform politischer als die andere, oder es ist eben doch alles irgendwie identisch.

Im Endeffekt ist es entscheidend, wer in andere Rolle schlüpft: ein bezahlter Schauspieler, der sich in einer Komödie zum Spaß als Frau ausgibt, hat nicht sonderlich viel mit Drag- oder Travestiekunst zu tun.

• Wig

Ist englisch für Perücke – und somit elementar für Drag-Kunst. Der überraschte Ausruf „Wiiiiiig“ bedeutet dagegen, dass jemand etwas so Beeindruckendes/Gutes getan, dass es einem die Perücke vom Kopf haut vor Begeisterung. Sowas wie die Drag-Version von „Mir fliegen gleich die Löcher aus dem Käse“.

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