Bundestag

Mit Sigmar Gabriel im Aufzug

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Durch ihren runden Grundriss und die entsprechend daran angepassten Möbel  und Einbauten wird die Bibliothek des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu einem Kunstwerk.

Durch ihren runden Grundriss und die entsprechend daran angepassten Möbel und Einbauten wird die Bibliothek des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu einem Kunstwerk.

Foto: IKZ

Berlin.  MediaCampus-Reporterin Melina Seiler lernte während ihres Praktikums im Abgeordnetenbüro von Dagmar Freitag eine Menge über das poltische Leben in Berlin und traf auch zufällig kurz den SPD-Vorsitzenden.

MediaCampus-Reporterin Melina Seiler, die am Märkischen Gymnasium Iserlohn ihr Abitur gemacht hat und jetzt an der BiTS im dritten Semester Journalismus und Unternehmenskommunikation studiert, war zwei Wochen lang Praktikantin im Abgeordnetenbüro von Dagmar Freitag (SPD) in Berlin. Hier kommt ihr Bericht:

Nachdem ich die vergangenen zwei Monate für mein studienbegleitendes Praktikum in Hamburg bei der Morgenpost verbracht hatte, zog es mich die letzten zwei September-Wochen mitten ins politische Berlin.

Ich sitze also im Büro der heimischen Bundestagsabgeordneten Dagmar Freitag. Wenn ich aus meinem Bürofenster im Paul-Löbe-Haus gucke, sehe ich den Berliner Hauptbahnhof. Ich gucke aber selten aus dem Fenster. Vor mir auf dem Bildschirm durchforste ich das Internet nach Nachrichten aus dem Wahlkreis. Wer hätte gedacht, dass ich in Berlin täglich ausführlich den IKZ lese. Ebenfalls wichtig sind Informationen über die Wahlen in den USA und aus Afrika. Als Vorsitzende der Parlamentariergruppe, die für die SADC-Staaten (Staaten im südlichen Afrika) zuständig ist, muss Dagmar Freitag auch in diesem Bereich „up to date“ sein. Aus allen drei Bereichen entstehen Pressespiegel, also eine Übersicht über das aktuelle Geschehen, für meine Abgeordnete. Außerdem übernehme ich Recherche-Tätigkeiten oder bereite den Besuch von Gruppen aus dem Wahlkreis vor.

Als wir aussteigen, warten schon Kameras

Mit mir im Büro sind drei Mitarbeiterinnen. Auch sie sind stets sehr beschäftigt. Priorität haben Anliegen von Bürgern aus dem Wahlkreis, die auf die unterschiedlichsten Problemstellungen aufmerksam machen. Für die Beantwortung sind oftmals intensive und durchaus zeitaufwendige Recherche-Arbeiten erforderlich. Außerdem bereiten die Mitarbeiter Materialien für die Ausschusssitzungen vor und organisieren Veranstaltungen – im Wahlkreis, aber durchaus auch bundesweit. Wenn ich nicht im Büro bin, dann bin ich irgendwo im Regierungsviertel unterwegs. Und so passiert es, dass ich auf dem Weg zum Sitzungssaal, um Dagmar Freitag Unterlagen zu bringen, auf einmal mit Sigmar Gabriel im Aufzug stehe. Er ist in Begleitung von zwei Security-Männern. Als wir aussteigen, warten schon Kameras, die ihn auf seinem Weg zur Sitzung filmen.

Im Regierungsviertel gibt es viel zu sehen. Die riesengroße Halle im Paul-Löbe-Haus lässt es von überall – auch in den gläsernen Aufzügen – zu, direkt auf die Spree zu gucken, die durch das Viertel fließt. Mit einer Brücke auf der sechsten Etage ist das Gebäude mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus verbunden. Dort erstreckt sich die Bibliothek des Bundestages über mehrere Etagen, so dass der Anblick nach unten beeindruckend ist. Vor allem der runde Grundriss, dem alle Möbel und Einbauten in ihrer Form angepasst sind, macht die Bibliothek zu einem Kunstwerk.

Alle Gebäude sind unterirdisch miteinander verbunden. Unterwegs findet man einige Kunstinstallationen, so zum Beispiel die des französischen Künstlers Christian Boltanski. Die Installation ist raumhoch und besteht aus Metallboxen aller 4781 „frei und demokratisch“ gewählten Abgeordneten zwischen 1919 und 1999, die Mitglied des Reichstags oder Bundestags waren. Es ist eine Art Archiv der Abgeordneten und soll an die Bedeutung der Demokratie erinnern. Die totalitäre Zeit zwischen 1933 und 1949 ohne Parlament symbolisiert eine schwarz lackierte Box.

Viele Klischees über Politiker im Kopf

Wenn ich mittags zum Essen in die Kantine im Paul-Löbe-Haus gehe, sitze ich im sogenannten Lampenladen mit direktem Blick auf die Spree. Lampenladen deshalb, weil die hohe Decke mit unheimlich vielen bunten Lampenschirmen verziert ist. Meist ist es so voll, dass ich mich zu fremden Leuten an einen Tisch setze. Ich weiß dann nicht, zu welcher Partei sie gehören, ob sie Abgeordnete oder Mitarbeiter sind. Stets begegnen sie mir aber freundlich. Ich hatte viele Klischees über Politiker im Kopf: Anzugträger, die den ganzen Tag über ernste Themen sprechen und das am allerliebsten in verklausulierter Sprache. Ja, viele Menschen tragen Anzüge, sie sind allesamt schick angezogen. Ab und an trifft man aber auch auf Leute in Jeans. Alles ganz normal. Und auch wenn sie sich in Sitzungen oft kompliziert ausdrücken, finden am Tisch in der Kantine ganz normale Alltagsgespräche statt: Wie war das Wochenende? Wer hat was in seiner Freizeit gemacht? Oder welche Sorgen und Nöte gibt es?

Verabschiedung von Peer Steinbrück

Einen Einblick in die politische Arbeit gewinne ich vor allem durch Plenumssitzungen im Plenarsaal, die ich von der Besucher-Tribüne aus verfolgen kann, oder in AG- und Ausschusssitzungen. Durchaus spannende Themen stehen auf der Tagesordnung. Mein Highlight: der Intendant der Deutschen Welle, der die Arbeit der DW vorstellt. Der staatliche Auslandsrundfunk von Deutschland ist für mich deshalb so interessant, weil ich erfahre, wie Deutschland journalistische Botschaften für das Ausland aufbereitet. Bei einer Sitzung des Sportausschusses, bei dem Dagmar Freitag Vorsitzende ist, fesselt mich der Rückblick auf Olympia 2016 besonders. Ebenso als Minister Thomas de Maizière den Entwurf zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung vorstellt. Während meiner Zeit im Bundestag findet auch die Verabschiedung von Peer Steinbrück statt. Ich bin dabei, als er auch in der Sitzung der Arbeitsgruppe Außenpolitik verabschiedet wird.

Durch das Praktikantenprogramm der SPD-Fraktion bekomme ich weitere Eindrücke. Eine besonders spannende Erfahrung ist die Teilnahme an einer Bundespressekonferenz. Diese findet im Gebäude für Bundespressekonferenzen statt. Dort erlebe ich das Zusammentreffen von Politik und Journalismus hautnah. Zeitweise erscheint es mir regelrecht als ein verbales Gefecht. Ich bewundere beide Seiten: die hartnäckigen Journalisten, die kein Blatt vor den Mund nehmen und immer wieder nachfragen, und ihnen gegenüber die Pressesprecher, die es schaffen, völlig neutral zu bleiben und pflichtbewusst ausschließlich für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen vorzutragen. Eine gewisse Anspannung ist dabei immer spürbar, besonders dann, wenn sich die Sprecher auf Allgemeinplätze berufen und die Journalisten mit den erhaltenen Informationen unzufrieden sind.

„Undercover“ unter Juristen und Politikwissenschaftlern

Durch das Programm und den Praktikantenstammtisch lerne ich andere junge Menschen kennen. Sie alle studieren meist Jura, Politik- oder Wirtschaftswissenschaften. Zeitweise fühle ich mich wie eine „Undercover-Agentin“ unter Juristen und Politikwissenschaftlern. Ich merke, dass ich mit einem ganz anderen Blickwinkel auf das Geschehen schaue. In mir die Journalistin, die unparteiische Beobachterin, die nicht aktiv ins politische Geschehen eingreifen will, sondern ihre Umgebung kritisch untersucht.

Wenn ich eines gelernt habe, dann dass auch im Bundestag nur ganz normale Menschen sitzen. Das war mir natürlich schon vorher klar, aber man sollte es verinnerlichen. Es ist wie überall im Leben: Manche von ihnen sind sehr engagiert, andere weniger. Ich persönlich bin ihnen und anderen Politikern dankbar, dass sie dort sitzen, weil ich es selbst nicht wollen würde, obwohl ich Politik wichtig und interessant finde. Die teilweise weit verbreitete Politikmüdigkeit in diesem Land, verbunden mit unsachlicher Kritik, besonders im Internet, finde ich sehr erschreckend. Wer glaubt, es besser machen zu können, soll sich bitte selbst politisch engagieren. Nicht alle Politiker sind untätig oder unfähig. Dagmar Freitag habe ich als eine sehr aufgeschlossene und charismatische Person kennengelernt. Sie kann forsch und direkt sein, aber gerade das halte ich in ihrem Beruf für sehr wichtig. Dass sie und andere Abgeordnete jungen Menschen die Chance bieten, den Bundestag von innen kennenzulernen, ist eine tolle Möglichkeit, die Politik in unserem Land besser zu verstehen.

Melina Seiler Alumni Märkisches Gymnasium Iserlohn

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