Berlin. Nach der Eilmeldung zu Astrazeneca tauschte Frank Plasberg Thema und Gäste seines ARD-Talks kurzfristig aus – es hat sich gelohnt.
Die Eilmeldung von der Aussetzung der Astrazeneca-Impfungen in Deutschland hatte sich am Nachmittag wie ein Lauffeuer in der Republik verbreitet. Der ARD-Talk „Hart aber fair“ reagierte sofort und tauschte Thema und Studiogäste aus. Statt um die Lehren aus den Landtagswahlen ging es bei Frank Plasberg um die brandaktuelle Frage: „Stopp für Astrazeneca: Impfplan gescheitert?“ Der Wechsel hat sich gelohnt: Die ARD-Zuschauerinnen und Zuschauer sahen einen der besseren Talks des Jahres.
Eine Republik im Pannen-Modus: Nach dem schleppenden Anlauf der Impfkampagne und dem Chaos um die Schnelltests macht der Vektor-Impfstoff von Astrazeneca erneut Schlagzeilen. Noch am Morgen hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gefordert, dass sich Politiker öffentlich impfen lassen sollten, um Vertrauen für den oft kritisierten Wirkstoff zu schaffen. Nur Stunden später wurde der vom Paul-Ehrlich-Institut aus dem Verkehr gezogen – vorübergehend und als Vorsichtsmaßnahme nach seltenen, zum Teil tödlichen Komplikationen, hieß es. Lesen Sie hier: Diese Astrazeneca-Nebenwirkungen können auftreten
"Hart aber fair" - Das waren die Gäste
- Karl Lauterbach, SPD, Bundestagsabgeordneter; Gesund-heitsökonom und Epidemiologe
- Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur von „Welt“ und „Welt am Sonntag“; Berichterstatter der „Welt“-Gruppe für das Kanzleramt
- Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist und Autor
- Andreas Gassen, Orthopäde und Unfallchirurg; Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
„Grundvertrauen erschüttert“: Robin Alexander registriert wachsende Skepsis in der Bevölkerung
Zu Risiken und Nebenwirkungen der überraschenden Wende hatte Moderator Plasberg in kürzester Zeit ein Experten-Quartett versammelt: Wissenschaftserklärer Ranga Yogeshwar, den Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, SPD-Epidemiologe Karl Lauterbach und Robin Alexander aus der Chefredaktion der „Welt“. Und obwohl der allgemeine Sachstand sich am treffendsten mit „Nichts Genaues weiß man nicht“ beschreiben ließ, entwickelte sich – im TV-Talk eher ungewöhnlich – ein spannender Diskurs ohne Ego-Einlagen.
Der Journalist Robin Alexander kritisierte die Entscheidung des Instituts. Sie sei „fatal“, weil sie die Kommunikation der Regierung „nachhaltig beschädigt“. Das Hin und Her erzeuge bei den Menschen den Eindruck: „Die in der Politik wissen selber nicht Bescheid.“ Das „Grundvertrauen“ in das Pandemie-Management des Staates sei „erschüttert“, in der Bevölkerung wachse die Skepsis: „Die Leute denken, wir kriegen es nicht mehr hin und fragen sich: ‚Werden wir eigentlich noch gut regiert?‘“ Schließlich habe der Bundesgesundheitsminister noch am Freitag beteuert, dass Astrazeneca weiter verimpft werde.
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Kritik von Lauterbach an der Entscheidung von Gesundheitsminister Spahn
Zu diesem Zeitpunkt hatte schon ein Dutzend Staaten die Impfungen ausgesetzt. Doch als am Wochenende neue Fälle von schweren Komplikationen in Form von Hirnvenen-Thrombosen bekannt geworden waren, handelte das Paul-Ehrlich-Institut. Für Karl Lauterbach der falsche Schritt: „Ich hätte es nicht getan.“ Schließlich seien diese „drastischen Konsequenzen“ nur bei einem von 250.000 bis 300.000 Betroffenen aufgetreten. Die Todesrate durch Thrombosen bei Covid-Patienten sei demgegenüber „sehr viel höher“. Was Moderator Plasberg an eine Lotterie erinnerte: „Beim Lotto ist die Gewinnchance 1 zu 13 Millionen, und die Leute spielen trotzdem.“
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Dabei ließ Lauterbach keinen Zweifel daran, dass der Impfstoff die lebensgefährlichen Komplikationen wohl verursache. Dies sei aufgrund der seltenen Form der Nebenwirkungen „überwältigend wahrscheinlich“. Trotzdem hätte er die Impfungen bis zur Klärung der Zusammenhänge fortgeführt. Medien hatten den SPD-Abgeordneten vergangene Woche bereits als Alternative für Jens Spahn ins Gespräch gebracht, nun tat er es selbst. Als Politiker hätte er so entschieden, auch gegen die Empfehlung des Paul-Ehrlich-Institut: „Ich hätte hier den Ausnahmefall gesehen und mich darüber hinweggesetzt.“
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Corona: Dauer der Impf-Pause von Astrazeneca noch nicht abzusehen
Zumindest in der Runde bei Plasberg stand Lauterbach damit allein. Ranga Yogeshwar („Die Entscheidung zum Stopp der Impfkampagne ist richtig“), Kassenärzte-Chef Andreas Gassen und auch Robin Alexander sahen für den Gesundheitsminister keinen Spielraum, vom Experten-Votum der Impfstoff-Profis abzuweichen. „Die Entscheidung von Jens Spahn wäre kaum anders zu treffen gewesen“, so Gassen, aber klar sei auch: „Die Nerven liegen blank, die Menschen sind verunsichert.“ Der Arzt bekannte: „Ich möchte jetzt nicht in Jens Spahns Haut stecken.“
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Noch ist ungewiss, wie lange die Impf-Pause dauert, und ob Astrazeneca womöglich längerfristig aus dem Verkehr gezogen wird. Für Plasberg ist das Präparat „das Arbeitspferd der Impfkampagne“. Wenn die Millionen für die nächsten Monate vorgesehen Dosen wegfallen, habe Deutschland ein gewaltiges Problem. „Das wäre eine Katastrophe“, räumte Lauterbach ein.
Nur gut, dass Ranga Yogeshwar dabei war, wenn auch nur per Videocall zugeschaltet: „Wir haben noch viele Millionen Impfdosen, und neue Impfstoffe kommen hinzu. Ich sehe das positiv.“ Und der Impf-Stopp zeige immerhin, dass „gewissenhaft nachkontrolliert wird“.
Impf-Kampagne ohne AstraZeneca „wackelig wie ein Hocker auf zwei Beinen“
Das war ein dringend notwendiger Stimmungsaufheller, denn der Runde war die Frustration über die verpassten Chancen bei der Pandemie-Bekämpfung anzumerken. Ebenso der Versuch, die Dinge dennoch konstruktiv anzugehen.
Dass die EU bei der Impfstoff-Beschaffung „ziemlich dilettiert hat“, so Gassen, „ist unstrittig, aber das sollte man abhaken.“ Leider sei das Astrazeneca-Problem hinzugekommen. Die Impfkampagne sei nun „wie ein Hocker, der nur auf zwei Beinen steht. Dann wird’s wackelig.“ Moderator Plasberg erinnerte die Situation an eine Fußballerweisheit: „Erst hatten wir Pech und dann kein Glück.“
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Zwei Ärzte, ein Wissenschaftsjournalist und ein Parlamentskorrespondent können die vielen offenen Fragen des ruckelnden deutschen Pandemie-Managements nicht lösen, aber sie tauschten sich am Montagabend bei „Hart aber fair“ darüber sachlich und konstruktiv aus – so, wie man es der bei in den Wahlkampfmodus gewechselten Politik nur selten sieht. Am Schluss stand die mehrheitsfähige Erkenntnis, dass das Impfrisiko „sehr, sehr gering“ ist, wie es Gassen ausdrückte, der selbst mit Astrazeneca geimpft wurde.
Und trotz der „schrecklichen“, aber seltenen Komplikationen würden die anderen Diskussionsteilnehmer es dem Mediziner nachmachen. „Sie können mich Tag und Nacht anrufen“, so Robin Alexander, „ich bin in 15 Minuten da.“ Auch Lauterbach hält Astrazeneca „unverändert für wirksam“. Er gehe davon aus, dass der Impfstoff nach Prüfung erneut freigegeben werden: „In spätestens zehn Tagen sind wir wieder da, wo wir waren.“ Fazit von Plasberg: „Drücken wir uns die Daumen, dass es nicht so schlimm kommt, wie es kommen kann.“
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